Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
hoch und sehe flüchtig, wie er der Ladenbesitzerin zuzwinkert, als ich meinen Blick schulterzuckend weiter über die ganzen Naschwaren wandern lasse.
»Doch, du musst dir auch was aussuchen«, protestiert Denny. »Du hast das ganze Geld für die Kinder ausgegeben. Magst du dunkle Schokolade?«, fragt er mich, als er sieht, woran mein Blick haften bleibt. »Moi aussi. Deux petit sacs de boutons, s'il vous plait!«, bittet er die Ladenbesitzerin, eine Frau mittleren Alters, die über die Jahre hinweg eindeutig hier und dort mal genascht hat. Sie reicht jedem von uns eine baseballgroße Packung mit einzeln eingepackten Stückchen aus dunkler Schokolade. Das Säckchen ist mit einer pinken Schleife zugebunden.
»Es ist ziemlich lange her, dass mir jemand was geschenkt hat«, sage ich nachdenklich, als wir zu viert aus dem Laden gehen und auf dem Bürgersteig im Stehen unsere Süßigkeiten essen. George hat mir mal eine Packung Zigaretten gekauft, und damals habe ich mir eingebildet, das habe etwas zu bedeuten, aber das stimmte nicht.
»Ich hätte ja gewettet, dass du einen dieser regenbogenfarbenen Lutscher haben willst«, sagt Denny und zeigt auf den riesigen Baum aus Lutschern im Schaufenster.
»Echt? Wieso? Im Ernst, da hast du dich schon wieder in mir geirrt«, entgegne ich. »So was Kitschiges und Geschmackloses wie einen Lolli würde ich nie nehmen.«
»Nie?«, fragt Denny nach. »Irgendwie glaube ich das nicht.«
»Warum tust du eigentlich die ganze Zeit so, als würdest du mich so gut kennen?«, frage ich ihn. »Du weißt doch überhaupt nichts über mich. Und wenn doch, wärst du wohl ziemlich geschockt.« Überrascht stelle ich fest, dass ich etwas mürrisch klinge.
Aber Denny lacht nur.
Vor den Lutschern im Schaufenster dreht die Ladenbesitzerin den Schlüssel im Türschloss und wendet dann das Schild, sodass jetzt FERME draufsteht. Die Sonne geht bereits langsam unter, auch wenn schon auf Sommerzeit umgestellt wurde. Es muss also echt spät sein.
»Oh Mist.« Ich schaue auf meinen BlackBerry, aber der Akku ist leer. »Bestimmt hat Madame Sanxay schon vierhundertmal versucht, mich zu erreichen! Wo ist von hier aus die nächste Metro-Station?«
Ich erwarte, dass Denny weitere Witze macht, damit ich länger bleibe, aber nein. »Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen, Alex«, sagt er und sieht uns kurz nach, als wir zur Metro runterlaufen, ehe er ebenfalls weggeht.
Dann ist es jetzt also offiziell, denke ich überraschend ruhig. Ich habe einen Stalker.
* * *
Meine Französischlehrerin, Mlle Hebard, konnte ich noch nie besonders gut leiden, aber heute bringe ich ihr in etwa so viel Wohlwollen entgegen, wie jemandem, der mir auf dem Upper Broadway im strömenden Regen um Mitternacht ein Taxi vor der Nase wegschnappt. Sie hat sich ausgerechnet den heutigen Tag ausgesucht, um mich mal wieder in der Luft zu zerreißen, weil ich ein blödes »que versus qui« -Arbeitsblatt nicht ausgefüllt habe. Auf die Nummer habe ich echt keine Lust!
»Ist das denn wirklich so schlimm?« Ich streiche mir den Pony aus den Augen. »Es ist doch nur ein Arbeitsblatt und bloß ein einziges Mal passiert.«
Bisher habe ich meine Hausaufgaben immer gehabt: Im letzten Schulhalbjahr habe ich sie Tag für Tag von Zack abgeschrieben, und in diesem Halbjahr hatte ich zu große Angst vor weiteren Strafen (noch mehr Zeit mit les enfants!), dass ich meine Hausaufgaben absolut gewissenhaft gemacht habe.
Sonst habe ich eigentlich keine so große Klappe gegenüber den Lehrern, aber vielleicht üben die Kinder ja einen schlechten Einfluss auf mich aus. Ich fühle mich jedenfalls ausgesprochen unreif. Ich strecke Mlle Hebard sogar die Zunge raus, als sie sich kurz umdreht, aber leider bekommt sie das mit.
»Aleecks! Legen Sie sich nicht mit mir an«, sagt Mlle Hebard schockiert. Als ich mich umschaue, entdecke ich zwölf weitere schockierte Mienen, die mich anstarren, darunter Zack und Olivia. George und Drew versuchen nicht mal, ein Lachen zu unterdrücken, und die texanischen Zwillinge sehen total angeekelt aus, als hätten sie gerade eine tote Ratte entdeckt.
Okay, das war vielleicht ein bisschen abgedreht, sage ich zu mir selbst, nachdem mich Mlle Hebard zu Mme Cuchon geschickt hat, damit ich mit ihr über mein Benehmen spreche. Na ja, war es anders zu erwarten? Gestern habe ich zum Abendessen siebzehn Schokoladenbouchons verzehrt, weil meine Gastfamilie ihre Mahlzeit schon lange beendet hatte, nachdem ich von den Sanxays
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