Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
ausdrücken würde, verflucht riesig. Die beiden uneinheitlichen Turmspitzen passen nicht mal in den Bildsucher meines Fotoapparats, selbst wenn ich mich ganz weit weg auf die andere Seite des Platzes stelle. Beim Anblick des gothischen Bauwerks machen Bobby und ich dauernd »Aah« und »Ooh, extra für Romy, mit jeder Menge Heiliger-Strohsack-wir-sind-aus-Amerika-und-haben-von-nichts-eine-Ahnung-Begeisterung. Als wir die Kirche betreten, tauchen alle vier Mitglieder meiner Gastfamilie die Finger in eine Steinschüssel mit Weihwasser, bekreuzigen sich und knien kurz am Rand einer Reihe Holzstühle nieder, ehe wir Platz nehmen.
Ich muss kurz lachen, als der Priester hereinkommt und ihm zwei Ministranten in langen Gewändern vorausgehen. »Woran denkst du gerade?«, flüstert Bobby.
»Meine Eltern glauben ja sowieso schon, dass ich in der Hölle schmoren werde, weil ich mich schwul aufführe«, antworte ich. »Aber wenn sie mich jetzt in dieser Kirche sehen könnten, würden sie mich bestimmt sofort aus der Familie verbannen.«
»Aber Katholiken sind doch auch Christen«, entgegnet Bobby verwirrt. »Oder nicht?« Er scheint kurz ins Zweifeln zu kommen, dann schaut er zu dem Kreuz, das zum Abendmahl von der gewölbten Decke herunterhängt, wie um sich selbst zu bestätigen, dass wir tatsächlich in einem christlichen Gotteshaus sind.
»Aber eben nicht die richtige Art von Christen.«
Romy wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich lächle, um ihr zu signalisieren, dass alles in Ordnung ist. Ich sollte still sein und den Mund halten, aber ich kann einfach dem Drang nicht widerstehen, darüber nachzudenken, wie seltsam es doch ist, dass meine Eltern jede andere Religion als ihre eigene Heilige-Fegefeuer-Version des Südstaaten-Baptismus so unglaublich inakzeptabel finden. »Sie würden das hier nicht mal schön finden«, sage ich. »Und dabei ist es der allerschönste Bau, den ich je gesehen habe, findest du nicht auch?«
»Ja«, sagt Bobby. Auch wenn mir klar ist, dass seine Eltern im Gegensatz zu meinen wahrscheinlich keine Liebesromane oder kommunistische Zeitungen bei Wochenendgottesdiensten verbrennen, so bin ich mir doch sicher, dass er weiß, was ich meine, einfach deshalb, weil er auch aus den Südstaaten stammt.
»Bis unsere Kirche erbaut war, wurde der Gottesdienst bei uns in der Turnhalle der High School abgehalten«, wispere ich. »Wie kann man Gott lobpreisen, wenn um einen herum alles nach Schweißfüßen stinkt, die Er erschaffen hat?«
Darüber lacht sich Bobby hinter seiner vorgehaltenen Hand schlapp.
Der Priester beginnt die Messe, und das Kind in mir, das Gottesdienste gähnend langweilig findet, hat totale Lust, alles für Bobby zu übersetzen, aber natürlich absichtlich falsch, um ihn zum Lachen zu bringen. Doch wenn ich das wirklich täte, würde Romy vor Scham tot umfallen; es ist deutlich zu spüren, dass sie es für eine ganz besondere Ehre hält, dabei sein zu dürfen. Und der Frankreichfreund in mir - ebenso der Liebhaber von allem Schönen und Kulturellen, von herrlichen alten Dingen - hält es tatsächlich für etwas ganz Besonderes.
Der Priester stimmt Gebete an, die zu einem wöchentlichen Ritual zu gehören scheinen. Die ganze Gemeinde weiß, wann und was sie erwidern soll. Sie wissen auch, wann sie sich erheben oder sich wieder hinsetzen sollen, und zu einem bestimmten Zeitpunkt heben alle gleichzeitig die Handflächen in die Luft und halten sie ein kleines bisschen von ihrem Körper weg. Ganz anders als bei uns zu Hause.
Im Dämmerlicht flackern die Kerzen. Ich lasse meine Gedanken schweifen und blicke zur Decke hinauf, verziert mit perfekt eingesetzem Gestein aus französischen Steinbrüchen von vor neunhundert Jahren. Die Gemälde, die Orgel, alles ist genau so, wie es bestimmt schon damals war. Die ganze Geschichte um einen herum einzusaugen, ist atemberaubend, wenn man nicht nur mit dem Verstand analysiert, wie lange Menschen schon in genau diesem Bau sitzen, in dem man selbst gerade sitzt, und tut, was man gerade tut. Wenn man so über das Leben nachdenkt, verschwimmt, was wichtig und was wahrscheinlich nicht so wichtig sein sollte.
Da fällt mir PJ ein, und wieder versetzt es mir einen Stich.
* * *
Nach einem Brunch mit tartines und Wein für Bobby und mich fährt die ganze Familie zurück nach Paris.
Auf dem Heimweg bekomme ich eine SMS. Ich quetsche meine Hand zwischen Bobbys und meine Hüfte, um mein Handy aus der Tasche zu ziehen. Wahrscheinlich ist es Pierson, der
Weitere Kostenlose Bücher