Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
sein Talent wahrscheinlich in seiner Stärke und Kraft. Wenn man Olivia glauben will, ist er ein toller Tanzpartner - nicht zu selbstverliebt und immer aufmerksam gegenüber den anderen Tänzern ringsherum. Er strahlt Selbstvertrauen aus und dass er genau dort ist, wo er sein will. Inmitten einer Menge, unter vielen Menschen, bei Musik und Gesprächen macht er eine ziemlich gute Figur.
Mir kommt plötzlich in den Sinn, dass das eigentlich eine tolle Gelegenheit ist, André klarzumachen, wie begehrenswert ich bin - mit Bobby an meiner Seite, der so süß und niedlich ist und katalogmäßig gut aussieht mit seiner Schiebermütze über dem struppigen blonden Haar und der bequemen, weiten Jeans. Ich meine, warum ihn nicht ein bisschen eifersüchtig machen? Das hat er doch eigentlich sogar verdient, nachdem er mich jetzt so links liegen lässt, obwohl er mich den weiten Weg ins 20. Arrondissement gelockt hat.
Also rutsche ich mit meinem Stuhl näher an Bobby heran und lege meine Hand langsam auf die obere Strebe seiner Rückenlehne, ganz in die Nähe seiner Schulterblätter.
»Hannes und Pierson sind also noch immer eifrig zugange, ja?«
»Wie die Karnickel«, antwortet Bobby und streckt die Zunge raus. »Man könnte echt meinen, sie hätten sich inzwischen etwas beruhigt.«
Ich pruste so laut los, als wäre Bobby der witzigste Mensch auf der ganzen Welt, und als ich mir auf die Oberschenkel schlage, fange ich Andrés Blick auf. »Wie die Karnickel«, japse ich.
In null Komma nichts schwebt André von der anderen Zimmerseite zu mir herüber und schlingt die Arme um mich. Es hat funktioniert!
»Schluckauf! Ich hab dich vermisst!« Er klopft mir auf die Schulter und strahlt mich mit seinen rotbraunen, weinbefleckten Zähnen an. Na gut, dieser Teil von ihm sieht vielleicht nicht ganz so sexy aus. Aber der Rest...
»Schluckauf, Schluckauf«, wiederholt André, dann kneift er mich in die Wange. »So süß!«
Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse, versuche das aber zu verbergen. Zuerst war der Witz ja noch ganz lustig, aber jetzt und hier hört er sich eher so an, als wäre ich sein kleiner Cousin oder so. Jedenfalls nicht so begehrenswert, wie ich das gern hätte.
»Wie kommt's, dass du gar keine deiner Westen trägst?«, frage ich ihn, um das Gespräch auf ein etwas höheres Niveau zu heben. Ich nehme einen großen Schluck 1664.
»Meine Westen?« André schaut auf sein schmales weißes T-Shirt hinunter. »Wie meinst du das?«
»Na ja, du weißt schon, eine von den Westen, die ich in deiner Wohnung gesehen haben, die cowboymäßige oder die schwarze Bikerjacke?«
»Ach so, meine Westen«, schnaubt André. »Einfach kein Westentag heute, glaube ich. So was ist eher spontan.«
»Hmm, ja, du hast echt so tolle Westen«, sage ich lahm, weil mir nichts Besseres einfällt. Wir leeren unsere Biere, dann steuert André auf einen anderen Freund zu.
»So, ich glaube, ich gehe dann jetzt mal«, verkünde ich.
André fasst mich an den Schultern und küsst mich auf beide Wangen. »Schön, dass du da warst! Und ruf mich bald mal an - weißt du, ich hatte neulich Abend echt viel Spaß mit dir.«
Genau auf diesen Satz habe ich so sehnlich gewartet - als Beweis, dass André nicht vergessen hat, was zwischen uns geschehen ist -, aber es ist der falsche Zeitpunkt. Bobby saugt geräuschvoll die Luft ein und schließt die Augen.
Bobby ist enttäuscht und verwirrt, das ist deutlich zu spüren. Zurück auf der Straße sagt er kein einziges Wort mehr. Er bleibt auch den restlichen Abend über ziemlich kühl, legt sich früh in meinem Zimmer zu Bett und geht früh am nächsten Morgen außer Haus, um zum Gare du Nord zu fahren, ohne mich auch nur aufzuwecken und Auf Wiedersehen zu sagen. Romy und Jacques hinterlässt er hingegen einen lieben Brief, in dem er sich für das schöne Wochenende bedankt.
Wer war der Typ, der neulich mit war?, schreibt André ein paar Tage später, als gerade Sport vorbei ist.
Niemand, schreibe ich zurück. Nur mein früherer Freund. Jetzt sind wir nur noch gute Freunde.
»Mein früherer Freund« lässt mich sehr erwachsen klingen, wie ich finde, während ich darauf warte, dass André mir eine SMS zurückschreibt, um das Gespräch in Gang zu halten. Es klingt so, als wäre ich schon in mehr fremden Betten aufgewacht als nur in Andrés.
Bitte mach, dass das kein Riesenfehler war, denke ich, nachdem nichts mehr von André zurückkommt. Lass mich nicht alles auf die falsche Schwulenkarte gesetzt
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