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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Cohen
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von ihnen erwarten konnte, war der Tod durch Auspeitschen. Dabei würden sie ihn unsäglich begrapschen, wie es die Türken mit Lawrence gemacht haben. Über ihm auf der elektrischen Leitung saßen die ersten Krähen des Jahres, sie waren aufgereiht wie die Kugeln einer Rechentafel. Seine Schuhe sogen Wasser aus dem Schlamm wie Wurzeln. Wenn er diesen Frühling je vergessen würde, was unbedingt erforderlich war, würde er doch den Hauch von Schmerz noch bis ans Ende spüren. Es war nicht viel Verkehr, und doch genug, um ihn immer wieder mit kleinen Luftstößen zu verhöhnen, wenn die Kotflügel vorüberflogen. Plötzlich, als geriete ein Kinofilm ins Stocken, schälte sich aus dem unscharfen Bild der vorüberrauschenden Autos ein Oldsmobile heraus. Am Steuer saß ein wunderschönes Mädchen, vielleicht eine blonde Hausfrau. Ihre kleinen Hände, die in weißen Handschuhen locker auf dem Lenkrad ruhten, schoben sich in ihre Ärmel wie ein grenzenlos gelangweiltes Akrobatenpaar. Ihr Wagen huschte still und mühelos heran, wie ein Glas auf dem Tisch von Spiritisten. Sie trug ihr Haar offen, sie war an schnelle Autos gewöhnt.
    – Steig ein, sagte sie zur Fensterscheibe. Pass auf, dass du nichts dreckig machst.
    Er schob sich in den Ledersitz an ihrer Seite und versuchte mehrmals, die Tür zuzuschlagen. Seine Lumpen hatten sich verfangen. Unterhalb der Armlehne war sie, abgesehen von ihrem Schuhwerk, nackt, und damit es nicht unbemerkt blieb, brannte das Kartenlicht. Als der Wagen beschleunigte, wurde er von Steinen und Schrotkugeln getroffen, denn das katholische Aufgebot war gerade aus dem Wald getreten. Sie gab Vollgas, und jetzt sah er, dass sie die Lüftung so eingestellt hatte, dass sie mit ihrem Schamhaar spielte.
    – Bist du verheiratet?, fragte er.
    – Und wenn ich’s wäre?
    – Du weißt ja nicht, warum ich gefragt habe. Es tut mir leid. Darf ich meinen Kopf in deinen Schoß legen?
    – Alle fragen immer, ob ich verheiratet bin. Die Ehe ist nur ein Symbol für eine Zeremonie, die sich ebenso leicht erschöpft, wie sie erneuert werden kann.
    – Bitte, Miss, erspar mir dein Philosophieren.
    – Dann leck mich, du dreckiges Stück.
    – Gern.
    – Aber drück nicht mit dem Arsch aufs Gaspedal.
    – So gut?
    – Ja, ja, ja, ja.
    – Rutsch ein Stückchen nach vorne. Das Leder reibt mir am Kinn, das tut weh.
    – Weißt du eigentlich, wer ich bin?
    – Öbleöbleöbleöble – nein – öbleöbleöble.
    – Dann rate mal! Rate! Du Stück Scheiße!
    – Es interessiert mich aber nicht.
    – Ι σις ὲγῶ. ––
    – Ich wurde von Fremden geboren, Miss.
    – Bist du bald fertig, du dreckiger, verrotteter Sack. Ji, Ji! Toll, wie du das machst!
    – Du solltest dir so einen Anti-Schweiß-Sitz aus Holzkügelchen besorgen. Dann würdest du nicht den ganzen Tag in deiner Sauce sitzen, mit dem Luftzug und so.
    – Du machst mich richtig stolz, mein Schatz. So, und jetzt raus da. Mach dich sauber!
    – Sind wir schon in der Stadt?
    – Sind wir, ja. Wiedersehen, mein Liebling.
    – Wiedersehen. Ich wünsch dir einen grandiosen Unfall.
    Der Mann stieg aus dem Wagen, der noch leicht rollte, und stand vor dem System-Kino. Sie rammte ihren Mokassin aufs Gas und raste seitlich in einen Stau am Phillips Square. Der alte Mann blieb einen Augenblick unter dem großen Kinoschild stehen und betrachtete die Vegetarier, die dort in kleinen Grüppchen eng zusammenstanden, er betrachtete sie mit einer Mischung aus Sehnsucht und Mitleid. Es war jeweils nur ein Hauch. Als er seine Karte kaufte, hatte er sie schon vergessen. Der Saal war dunkel, er setzte sich hin.
    – Entschuldigen Sie, mein Herr, wann fängt der Film an?
    – Sind Sie verrückt? Kommen Sie mir nicht so nah, Sie stinken ja fürchterlich.
    Drei, vier Mal wechselte er den Platz, bevor die Nachrichtensendung begann. Schließlich hatte er die erste Reihe ganz für sich allein.
    – Platzanweiser! Hallo!
    – Schhh. Ruhe!
    – Platzanweiser! Ich bleibe hier nicht den ganzen Abend sitzen. Wann geht der Film los?
    – Herr, Sie stören.
    Der alte Mann drehte sich um und sah Reihen von stillen, weit geöffneten Augen, dazwischen hier und dort einen langsam kauenden Mund. Die Augen waren in ständiger Bewegung, es war, als würden sie ein Pingpongspiel verfolgen. Manchmal, wenn in allen Augen das gleiche Bild lag – der Saal war ein gigantischer Spielautomat, der in jedem Fensterchen dieselbe Glocke zeigte –, erzeugten die Zuschauer einen einzigen, gemeinsamen Laut.

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