Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
kann sich ein Photon als kleinste Einheit des Lichts sowohl wie ein Teilchen als auch wie eine Welle verhalten. Sein Zustand ist unbestimmt, bis eine Messung gemacht wird. Mißt man eine Teilcheneigenschaft (z.B. Ort), so verhält sich das Photon wie ein Teilchen. Mißt man eine Welleneigenschaft, so verhält es sich wie eine Welle. Ob das Photon Welle oder Teilchen ist, wird also erst durch die spezifische experimentelle Anordnung entschieden. Der französische Physiker de Broglie ging von der These aus, daß der beim Licht vorhandene Dualismus von Teilchen und Welle auch bei materieller Strahlung (z.B. Kathodenstrahlung) besteht. Man spricht seitdem vom Welle-Teilchen-Dualismus in der Quantentheorie.
Teilchen- und Wellenbild sind nur anschauliche Modelle der Materie von begrenzter Anwendbarkeit in der Quantenwelt. Diese Modelle sind nämlich Meßergebnissen durch adhoc-Annahmen angepaßt. Sie liefern keine physikalischen Erklärungen. Es fehlt eine physikalische Theorie der Materie. Erst die Quantenmechanik lieferte die erforderlichen Grundlagen, die historisch in der Heisenbergschen Version (1925) am Teilchenbild und in der Schrödingerschen Version (1926) am Wellenbild orientiert waren, aber sich schließlich als äquivalent erwiesen. Max Born (1882–1970) stellte eine Verbindung von Teilchen- und Wellenbild her, indem er Schrödingers Wellenfunktion als Wahrscheinlichkeitsamplitude interpretierte, mit der die Aufenthaltswahrscheinlichkeit z.B. eines Elektrons in einem sehr kleinen Raumbereich berechnet werden kann. Damit hatte die Wellenfunktion ihre anschauliche Deutung als ,Materiewelle‘ verloren und war zu einem wahrscheinlichkeitstheoretischen Rechenausdruck geworden.
Ein Quantensystem ist jedoch kein klassisches Teilchen (z.B. Fußball), dessen Zustand durch eine gleichzeitige Orts- und Impulsmessung beliebig genau bestimmt werden kann. Wenn z.B. ein Neutronenstrahl auf einen Schirm mit zwei Spalten gesendet wird, dann kann zwar der Ort oder der Impuls des Teilchens hinter den Spalten in Abhängigkeit von den Spaltenbreiten (als dem präparierten Zustand des Quantensy.stems) jeweils genau gemessen und durch Wiederholung die jeweilige Meßstreuung bestimmt werden. Allerdings weist eine kleinere Streuung der Ortsmessung stets eine größere Streuung der Impulsmessung auf und umgekehrt. Dabei verhindert die Plancksche Konstante h, daß beide Streuungen wie in der klassischen Mechanik beliebig klein werden können. Wegen dieser nach Heisenberg benannten Unbestimmtheitsrelation kann die Bahn eines Quantensystems nicht wie z.B. bei einem Fußball berechnet werden, indem sein Ort und Impuls bestimmt wird.
Ein weiterer Unterschied zur klassischen Mechanik ist das Superpositionsprinzip der Quantenmechanik. {32} In Schrödingers Bild überlagern bzw. durchdringen sich zwei Quantenzustände wie zwei Wellen und bilden ein Wellenpaket, das wieder einen Quantenzustand darstellt. Mathematisch ist die Superposition zweier (reiner) Quantenzustände eine Linearkombination, die wieder einen (reinen) Quantenzustand darstellt. Observable, die in zwei getrennten (reinen) Zuständen des Quantensystems noch bestimmte (definite) Werte hatten, besitzen in der Superposition beider Zustände unbestimmte (indefinite) Werte.
Zur Veranschaulichung dieser merkwürdigen Eigenschaft von Materie in der Quantenmechanik stellt sich Schrödinger in einem Gedankenexperiment eine Katze vor, die sich mit einem radioaktiven Präparat (als Quantensystem) in einer geschlossenen Stahlkammer befindet. {33} Dieses Quantensystem löse bei Zerfall einen Hammermechanismus aus, der eine Blausäureflasche zertrümmert und damit die Katze tötet. Die Zustände der Katze ,tot‘ bzw. ,lebendig‘ zeigen die Zustände ,zerfallen‘ und ,nicht zerfallen‘ des Quantensystems an. Das Quantensystem zerfällt mit einer Wahrscheinlichkeit 1 : 2. Die Quantenmechanik sagt daher einen Gesamtzustand (,Superposition‘) voraus, in dem die Katze zu gleichen Teilen ,tot‘ und ,lebendig‘ ist. Nach der klassischen Physik ist die Katze entweder ,tot‘ oder ,lebendig‘.
Das Superpositions- bzw. Linearitätsprinzip der Quantenmechanik hat ernste Konsequenzen für den quantenmechanischen Meßprozeß. Im Anfangszustand einer Messung sind der Meßapparat und das zu messende Quantensystem (z.B. Neutron) in zwei getrennten Zuständen präpariert. Während des Meßprozesses kommt es zu einer Wechselwirkung beider Systeme, deren zeitliche Entwicklung durch die
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