Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Potentialitäten der Materie mit möglichen (indefiniten) Werten, die nicht in allen Zuständen des Systems aktualisierbar sind. Nichtlokalität beschreibt eine objektive Verschränkung von Zuständen der Quantenwelt und nicht etwa nur unser Unwissen über die Teilzustände. Damit kommen holistische (ganzheitliche) Eigenschaften der Materie zum Ausdruck, die von der klassischen Physik nicht erfaßt werden. Potentialitäten entsprechen zwar mathematischen Größen (Operatoren) des Quantenformalismus, sie sind aber selber kein Gegenstand der Wahrnehmung. Nur aktualisierte Formen in der Gestalt definiter Meßwerte können wahrgenommen werden. Der nicht-lokale Realismus der Quantenmechanik unterscheidet sich also deutlich vom Positivismus des 19. Jahrhunderts, der die Rede von Materie nur akzeptierte, sofern es sich um Meß- und Beobachtungswerte handelte.
Eine andere Variante nicht-lokalen Realismus vertritt David Böhms Theorie verborgener Parameter, die Nicht-Lokalität und das klassische Bild der Materie als einer determinierten Partikelmechanik verbinden will. {37} Ein materielles System ist danach durch die Ortskoordinaten seiner Massenpunkte und eine Wellenfunktion bestimmt, durch die jede Veränderung eines Partikels determiniert ist. Anschaulich stellt sich Böhm die Bewegung eines Elementarteilchens wie die Brownsche Bewegung eines kleinen Partikels vor, der auf einer Flüssigkeit schwimmend durch die Stöße unsichtbarer Flüssigkeitsmoleküle bewegt wird. Man spricht daher auch von einer Führungswelle und einem Quantenpotential, das die Bewegungsbahnen der Partikel determiniert und die übliche Dynamik der Quantenmechanik ergänzt. Böhm geht also von einer zusätzlichen verborgenen materiellen Substruktur aus, deren Fluktuationen das Geschehen in der Quantenwelt wie die Flüssigkeitbeieiner Brownschen Bewegung steuern. In der klassischen Partikelmechanik wird angenommen, daß alle Observablen (z.B. Ortskoordinaten der Partikel) immer definite Werte haben. Allerdings handelt es sich nach Böhm um verborgene Parameter der Materie, die nicht direkt meßbar sind (analog den Ortskoordinaten der Flüssigkeitsmoleküle, die für die Bewegung eines Brownschen Partikels verantwortlich sind). Die Werte von Observablen sind daher zwar immer bestimmt (definit), aber manchmal unbekannt. Unbekannte Werte werden durch ein Wahrscheinlichkeitsmaß über den verborgenen Parametern erklärt. Eine Observable wird als Zufallsvariable aufgefaßt. Im Prinzip besteht daher die Materie der Quantenwelt nach Böhm aus determinierten Bahnen von Teilchen, die uns aber häufig verborgen sind. In Anlehnung an eine berühmte Formulierung Einsteins würfelt in der Quantenwelt Böhms daher nicht Gott, aber der Mensch.
Nicht-Lokalität meint in dem Zusammenhang, daß die Führungswelle alle Partikel eines materiellen Systems gleichzeitig und zusammen determiniert: Zusammengesetzte Partikelsysteme mit einer verschränkten Führungswelle könnennicht lokalisiert und separiert werden. Jede lokale Änderung der Führungswelle kann aufgrund der EPR-Korrelationen überall und sofort registriert werden. Die Theorie verborgener Parameter ist also ebenfalls nicht-lokal und weicht mit ihren Voraussagen von der traditionellen Quantenmechanik nicht ab. Man erkauft sich allerdings das vertraute Partikelbild und den Determinismus der Materie mit dem Glauben an verborgene Parameter (und entsprechenden Ergänzungen des mathematischen Formalismus).
Neben diesen realistischen Deutungen, die eine Materie der Quantenwelt unabhängig vom Beobachter annehmen, sind auch subjektivistische Deutungen möglich, nach denen der Beobachter und sein Meßapparat für die Quanteneffekte der Materie verantwortlich gemacht werden. Da wir mit makroskopischen Meßgeräten und klassischen Anschauungsmodellen wie Welle und Teilchen auf die klassische Physik angewiesen seien, läßt sich nach der Kopenhagener Deutung über die Materie der Quantenwelt an sich (etwa durch die Annahme von Potentialitäten oder verborgenen Variablen) nichts aussagen. Philosophisch erinnert die Kopenhagener Deutung daher an Kants Erkenntnistheorie, deren Kategorien nun durch die Gesetze der Quantenmechanik bestimmt sind. {38} Die Wahrscheinlichkeit von Erwartungswerten gibt danach unser prinzipiell mögliches Wissen wieder. Die definiten Meßwerte werden durch den Meßakt erklärt, der nach der Kopenhagener Deutung einen ,Kollaps des Wellenpakets‘ auslöst.
Manche subjektivistische Deutung der
Weitere Kostenlose Bücher