Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
umgab den Friedhof, der Platz für mindestens ein Dutzend Gräber bot, aber nur zwei Grabstellen an seinem hinteren schattigen Ende aufwies. Dort ragten zwei schwere, dunkle Feldsteine, glatt und rund wie zwei zusammengerollte und zu Fels gewordene Tiere, am Kopfende der sanft gewölbten Erdbuckel auf. Vor den Gräbern stand eine schlichte Holzbank.
Becky fragte sich, wer dort wohl begraben lag, als sie die Tür im Zaun öffnete und näher trat. Viel wusste sie noch nicht über ihre Pflegeeltern und deren Vergangenheit. Auf der Fahrt nach Winchester hatte Winston nur die beiläufige Bemerkung gemacht, dass er das Land am Deer Creek fast auf die Woche genau vor zehn Jahren gekauft und damit begonnen hatte, es urbar zu machen.
Als sie die beiden Gräber erreichte, sah sie, dass die glatten, rund gewaschenen Steine als Grabinschrift jeweils nur einen weiblichen Vornamen, ein einziges Datum und darüber ein Kreuz eingemeißelt trugen. Auf dem linken Stein stand Mary und darunter die Jahreszahl 15. März 1853 und auf dem anderen las sie Anne sowie das Datum 28. August 1855.
Becky setzte sich auf die Bank und im nächsten Augenblick wehte ihr der Wind würzigen Tabakrauch zu. Sie drehte sich verwundert um und sah Winston, eine Maiskolbenpfeife im Mund, auf sich zukommen.
»Ich habe gesehen, dass du den Weg zum Friedhof hinaufgegangen bist«, sagte er. »Ich dachte mir, dass du wohl Fragen haben wirst, die ich dir lieber hier als in Emilys Gegenwart beantworten möchte.«
Becky nickte. »Wer liegt hier begraben, Winston?«
Er setzte sich zu ihr auf die Bank, nahm die Pfeife aus dem Mund, blickte einen langen Augenblick auf die Gräber und sagte dann mit leiser Trauer in der Stimme: »Unsere Kinder Mary und Anne.«
»Oh!«, entfuhr es Becky betroffen.
»Wie glücklich wir damals waren, als wir wussten, dass sich bald Nachwuchs bei uns einstellen würde! Vier Jahre hatten wir auf dieses wunderbare Ereignis gewartet, und wir waren mehr als bereit für Kinder, hatten wir zu der Zeit doch gerade das Haus fertig und die schlimmsten Jahre des Aufbaus hinter uns«, erzählte Winston schwermütig. »Aber Mary, unser erstes Kind, kam gute sechs Wochen zu früh auf die Welt und lebte nur zwei Tage. Als Emily dann schließlich wieder in anderen Umständen war, hofften wir umso mehr auf ein gesundes Kind. Es gab jedoch Komplikationen bei der schweren Geburt, denen auch Kate Crawford, die erfahrene und verlässliche Hebamme aus Madisonville, nicht gewachsen war. Anne kam tot zur Welt. Das zweite Baby, das wir hier begraben mussten. Wir haben beide schrecklich unter dem Verlust gelitten, aber der Schmerz einer Mutter, die ihr Kind zu Grabe tragen muss, lässt sich wohl mit keinem anderen vergleichen.«
Becky saß still neben ihm, denn es gab nichts, was sie zu dieser Tragödie Verständnisvolles oder gar Tröstendes hätte sagen können.
»Wir wollten immer ein Haus voller Kinder haben«, fuhr Winston nach einer Weile des Schweigens fort, »aber es soll wohl nicht sein. Gott hat offensichtlich andere Pläne mit uns. Sich damit abzufinden fällt jedoch schwer - ganz besonders Emily.«
»Da kann ein fast fünfzehnjähriges Waisenmädchen wie ich natürlich kein Ersatz sein«, sagte Becky leise.
»Das darfst du nicht einmal denken!«, erwiderte er, und seine Stimme fand wieder zu ihrem sanften, doch auch nachdrücklichen Ton zurück. »Du bist jetzt unsere Tochter und das ist nicht nur so dahergesagt. Ich habe dir von Mary und Anne erzählt, damit du weißt, was Emily durchgemacht hat und was sie noch immer quält und manchmal so verschlossen und scheinbar unnahbar macht. Sie meint, sich damit vor neuen, bitteren Schicksalsschlägen schützen zu können. Das ist natürlich töricht, aber so liegen die Dinge nun mal, und eines Tages wird sie selbst erkennen, dass sie sich damit keinen Gefallen tut. Und du wirst auch Emilys Herz gewinnen, dessen bin ich mir ganz sicher. Du musst nur Geduld haben, versprichst du mir das?«
Becky nickte. »Ich hoffe nur, dass sie auch mit mir Geduld hat«, sagte sie mit einem sehnsüchtigen Seufzen, in dem der Wunsch verborgen lag, es möge eines Tages wirklich so sein, wie er gesagt hatte.
41
D IE nächsten Wochen und Monate brachten keine grundlegende Veränderung, was Emilys Verhalten gegenüber Becky anging. Aber sie gewöhnten sich doch aneinander, und wenn Emily wieder einmal recht ruppig mit ihr umging, half Becky das Wissen, wie sehr Emily noch immer unter dem tragischen Tod ihrer beiden
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