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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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hatte, geradezu wie ein körperlicher Verlust vor, so als hätte man eines ihrer Gliedmaßen amputiert.
    Ungeduldig wartete sie in den ersten Wochen auf Nachricht von Missis Cunningham, und an einem wolkenlos klaren, strahlenden Sonntag im Mai hielt sie nach dem gemeinsamen Kirchgang in Winchester im General Store den ersehnten Brief aus New York in ihrer Hand. Darin teilte ihr Georgia Cunningham mit, dass ein Ehepaar namens William und Helen Cormick, die außerhalb von Aurora eine Farm betrieben, Daniel bei sich aufgenommen und er damit wie versprochen ein gutes Zuhause gefunden habe.
    Becky wurde die Fahrt zurück zur Farm so lang, als wären sie nicht in Winchester, sondern in Madisonville zur Kirche gegangen. Sie konnte es nicht erwarten, zu Papier und Feder zu greifen und ihrem Bruder einen ersten Brief zu schreiben, um wenigstens auf dem Postweg wieder Verbindung mit ihm aufzunehmen.
    Drei lange Seiten füllte sie mit ihrem Bericht, was ihr seit ihrer Trennung auf dem zugigen Bahnhof kurz hinter der Grenze von Indiana widerfahren war. Weil sie nicht wusste, wie gut oder wie schlecht Daniel es bei den Cormicks angetroffen hatte, hielt sie sich bei der Schilderung ihres wunderschönen Zimmers sowie von Winstons väterlicher Fürsorge und Liebenswürdigkeit ebenso zurück wie bei dem, was sie an Emilys reserviertem Verhalten auszusetzen hatte. Sie verwandte mehr Zeilen auf die Beschreibung der Farm und der umgebenden Landschaft, erzählte ihm von der überwältigenden Vielzahl der Arbeiten, mit denen sie sich vertraut machen musste, fügte eine lustige Anekdote über Joshua ein und versicherte ihm dazwischen immer wieder, wie gern sie all diese neuen Erfahrungen am liebsten mit ihm geteilt hätte und wie sehr sie ihn jeden Tag vermisste.
    Winston brachte den Brief schon gleich am nächsten Tag zur Poststelle, obwohl er eigentlich kein dringendes Geschäft in Winchester zu erledigen hatte. Zwar gab er vor, am Sonntag vergessen zu haben, noch eine Rolle Maschendraht zu kaufen. Aber sowohl Becky als auch Emily wussten, dass dies nur ein Vorwand war.
    Nun begann das Warten auf Daniels Antwort. An einem der ersten richtig heißen Junitage, als das Gras auf den Weiden hoch genug für den ersten Schnitt stand und Becky am Nachmittag mit Winston und Joshua eine Pause einlegte, um das Blatt ihrer Sense mit dem Wetzstein neu zu schärfen, erschien ihr Nachbar. John Fleming brachte aus Winchester nicht nur den Tabak und das Paket dicker Stücke brauner Kernseife mit, um die Winston und Emily ihn gebeten hatten, als er am Abend zuvor auf eine Pfeife und ein Glas selbst gebrannten Schnaps vorbeigeschaut hatte, sondern auch einen Brief, den ihm James Orville für die Newmans mitgegeben hatte.
    »Post für eure Tochter!«, rief John Fleming, als er von seinem Wagen sprang, und wedelte fröhlich mit dem Brief durch die Luft. »Aus Aurora! Na, das ist ein Name, der mir gefällt!«
    Beckys Herz machte vor Freude einen Sprung. Sie ließ Sense und Wetzstein fallen, lief zu ihm und hockte sich ins warme Gras, um Daniels Brief auf der Stelle zu lesen. Sein Brief, mehrere kleine vergilbte Seiten lang, war mit Bleistift und ungelenker Handschrift verfasst und es wimmelte in den Zeilen nur so von Schreibfehlern. Aber das vermochte ihre Freude, von ihrem Bruder endlich ein Lebenszeichen in der Hand zu halten, nicht im Geringsten zu trüben. Und ihr war, als hörte sie förmlich seine um Munterkeit bemühte Stimme in ihrem Kopf, als sie las, was er ihr geschrieben hatte:
     
    Meine liebste große Schwester!
    Was für ein verrückter Zufall! Mir hat noch nie jemand geschrieben. Und dann bekomme ich plötzlich an zwei Tagen hintereinander Post! Gestern kam ein Brief von Missis Cunningham aus New York. Darin stand deine Adresse. Ich habe gleich angefangen, dir was von mir zu schreiben. Und dann trudelte heute der Brief von dir ein! Hättest du dich nicht um einen Tag mehr beeilen können? Dann hätte ich beide Briefe am selben Tag erhalten und die erste Seite mit meiner Antwort, mit der ich gestern sofort angefangen hatte, nicht wegwerfen und noch mal neu anfangen müssen!
    Ist natürlich nur ein Scherz, Becky! Ich habe gern noch mal neu angefangen. Ich war völlig aus dem Häuschen, als ich den Brief von dir in der Hand hielt! Ich habe einen richtigen Freudentanz aufgeführt. Die Cormicks wussten nicht recht, ob sie lachen oder den Kopf schütteln sollten. Dann haben sie schließlich doch gelacht. Aber halt! Du weißt ja bestimmt gar nicht,

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