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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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abgerissene, gestreifte Sträflingsuniformen aus kratziger Wolle und mussten in den Steinbrüchen auf der Insel Steine brechen und zurechthauen, die für die Uferbefestigung und andere Gebäude gebraucht wurden.
    »Und hast du auch herausbekommen, für wie lange sie Daniel verdonnert haben?«, wollte Timothy wissen.
    »Nein, aber du weißt ja, wie das oft läuft«, antwortete Coffin.
    Niemand sagte etwas darauf, denn sie alle wussten nur zu gut, mit welcher Unbarmherzigkeit und Willkür die Gerichte mit jugendlichen Tätern umsprangen, die sich auf der Straße herumtrieben und niemanden hatten, der für sie einstehen und bürgen konnte. Nicht wenige hielt man in den Anstalten bis zu ihrem siebzehnten Lebensjahr fest.
    Becky klammerte sich an diesem Abend an die schwache Hoffnung, den Richter, der ihren Bruder verurteilt hatte, um Gnade anflehen zu können und ihm zu versprechen, für den angerichteten Schaden bis auf den letzten Cent aufzukommen. Doch diese Hoffnung wurde schon am folgenden Morgen zunichte gemacht. Man ließ sie nicht einmal zu ihm vor, sondern jagte sie unter der Drohung davon, sich im Vorzimmer des Richters bloß nicht noch einmal blicken zu lassen, wenn sie nicht auch in Haft geraten wolle.
    Die Verzweiflung, unter der Becky die nächsten Tage litt, und die Selbstvorwürfe, die sie quälten, kannten keine Grenzen. Sie fühlte sich so elend, dass sie oftmals mit ihren Zeitungen einfach irgendwo auf der Straße stehen blieb und sich ihren Tränen überließ. Was dazu führte, dass sie mehrfach nicht alle Zeitungen verkaufte. Es kümmerte sie auch nicht. Das Wissen, dass ihr kleiner Bruder womöglich sieben Jahre mit hart gesottenen Verbrechern im Gefängnis auf Blackwell’s Island eingeschlossen saß, raubte ihr alle Kraft. Auch bekam sie kaum noch einen Bissen hinunter, wenn sie bei Maggie’s saßen, wie gut ihre Freunde ihr auch zuredeten, dass Daniel wahrlich nicht damit geholfen war, wenn sie ihre Arbeit und ihr körperliches Wohlbefinden so sträflich vernachlässigte.
    Coffin war es, der sie schließlich aus diesem schwarzen Abgrund riss. »Wer sagt denn, dass Daniel seine Strafe absitzen muss?«, begann er zögerlich. »Ich meine, vielleicht gibt es Mittel und Wege, ihn von der Insel herunterzuholen.«
    Becky horchte auf und hob den Kopf, wagte aber nicht zu fragen.
    Es tat Timothy für sie. »Du meinst Ausbruch?«
    »Ja, so etwas in der Art.«
    »Die Idee ist mir auch schon gekommen. Aber die Insel ist nicht nur streng bewacht, sondern es gibt da auch eine starke Strömung, die selbst für einen guten Schwimmer eine verdammt große Gefahr darstellt«, gab Timothy zu bedenken. »Nicht von ungefähr haben sie das Gefängnis, das Arbeitshaus und all die anderen Anstalten auf diesem steinigen Stück Land im East River gebaut.«
    »Daniel kann nicht schwimmen«, murmelte Becky hoffnungslos. »Und wie soll er überhaupt erst aus dem Gefängnis kommen? Er ist doch erst zehn!«
    »Ich weiß«, sagte Coffin. »Aber dass es möglich ist, auszubrechen und von der Insel zu kommen, haben schon andere Insassen bewiesen. Wir brauchen nur die richtigen Leute mit den richtigen Verbindungen, um so einen Ausbruch vorzubereiten und auszuführen.«
    »Und von diesen Leuten haben wir ja auch mehr als genug an der Hand«, sagte Becky mit bitterer Ironie.
    »Du kennst vielleicht keinen«, erwiderte Coffin ruhig, »aber bei mir sieht das ein bisschen anders aus.«
    Wie elektrisiert fuhr Becky zusammen. »Coffin! Bitte sag nichts, was mir Hoffnung machen könnte, aber von dir nur so dahergeredet ist, um mich für eine Weile aufzumuntern!«, stieß sie beschwörend hervor.
    »Da ist nichts nur so dahergeredet«, versicherte Coffin. »Zumindest kenne ich jemanden, der uns mit den richtigen Leuten zusammenbringen kann und der mir noch einen kleinen Gefallen schuldig ist.«
    »Und wie heißt dieser Bursche?«, fragte Timothy.
    »Justin Sawyer, in seinen Kreisen besser bekannt unter seinem Spitznamen ›Justin der Prophet‹.«
    Becky runzelte skeptisch die Stirn. »Justin der Prophet? Ist das vielleicht einer von der Mission?«
    Coffin lachte auf. »Nein, wahrhaftig nicht! Justin schleppt nur immer so eine zerfledderte, angesengte Bibel mit sich herum. Das ist nämlich das Einzige gewesen, was er bei dem Feuer hat retten können, in dem seine Eltern und seine beiden Geschwister zusammen mit vielen anderen Mietern umgekommen sind. Es war eine von den heruntergekommenen Holzbruchbuden auf der Pell Street, die da eines

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