Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
fünfhundert karge und im Winter eisige Zellen für Männer und noch einmal halb so viele für Frauen. Aber zumeist hielt sich die doppelte Anzahl von Insassen hinter den Mauern auf.
Zweimal täglich verkehrten die Boote des Department of Charities and Corrections zwischen dem Fährkai an der 26th Street und Blackwell’s Island. Doch wer die Fähre benutzen und an den bewachten Anlegestellen auf der Insel von Bord gehen wollte, der musste eine Genehmigung dieser »Behörde für Wohltätigkeit und Strafvollzug« vorweisen. Und diese gab es nur nach einer strengen Überprüfung des Antrags.
Der Besuch, den Becky mit ihren Freunden und den Flusspiraten auf der Insel plante, würde jedoch außerhalb der offiziellen Besuchszeiten im Schutz der Nacht und ohne Genehmigung erfolgen.
Zehn Tage nachdem Timothy wieder Kontakt mit Justin aufgenommen hatte, erhielten Becky und ihre Freunde die Nachricht, dass der Ausbruch vorbereitet war und Billy the Butcher sich mit ihnen hinüber auf die Insel wagen wollte.
»Wie will er bloß in dieser Suppe den Weg nach Blackwell’s Island finden«, fragte Becky besorgt, als sie Justin kurz vor Mitternacht zum Treffpunkt in den Docks an der Water Street folgten. Der Nebel, der vom Fluss her in die Straßen trieb, war so dicht, dass sie kaum ein Dutzend Schritte weit sehen konnten.
»Sei unbesorgt, Billy findet seinen Weg auf dem Wasser notfalls auch im Schlaf«, antwortete Justin.
»Einen besseren Schutz vor den Wachbooten als den Nebel können wir uns doch gar nicht wünschen«, sagte Coffin, und Becky hatte das Gefühl, als spreche er sich damit auch selbst Mut zu.
Schweigend setzten sie ihren Weg fort.
»Hier geht’s zu Billys Boot hinunter! Passt auf, Treppe und Steg sind schon recht baufällig!«, sagte Justin dann und führte sie über eine bedrohlich knarrende Holztreppe auf einen nicht gerade Vertrauen erweckenden Bohlensteg hinunter. Unter ihren Füßen ächzten morsche Bretter und gurgelte das Wasser im Wellenschlag des East River um die Pfeiler.
»Wer da?«, kam eine kratzige Stimme aus der graufeuchten Dunkelheit.
»Wo du hingehst, da will auch ich hingehen«, antwortete Justin. »Wir sind’s, Dixie!«
»In Ordnung, es ist Justin mit dem Grünzeug, Boss!«, sagte die Reibeisenstimme. Und im nächsten Moment tauchte ein baumlanger Schwarzer in einer schmuddeligen Jacke aus Schafsfell vor ihnen aus den Nebelschwaden auf. Zwei riesige Messer, die fast die Größe von Macheten hatten, baumelten an seinem Gürtel.
»Das ist Double-Knife-Dixie«, sagte Justin über die Schulter zu Becky, Coffin und Timothy. Und als ein zweiter Mann, groß wie ein Hüne und mit wahren Bärenpranken, neben den Schwarzen trat, sie abschätzig musterte und sich mit der Bemerkung »Wenn die sich mal bloß nicht in die Windeln machen!« wieder abwandte, raunte Justin ihnen zu: »Das ist Richie, auch Richie the Strangler 5 genannt.«
»Der Würger? Von solch einer reizenden Gesellschaft habe ich schon lange geträumt«, murmelte Timothy neben Becky so leise, dass nur sie ihn hören konnte, wie er glaubte.
Doch Justin hatte seine Bemerkung sehr wohl mitbekommen. Und mit einem leisen Auflachen sagte er: »Offenbare dein Herz nicht jedermann!«
»Hört auf zu quatschen da oben und kommt ins Boot!«, rief ihnen da Billy ungeduldig zu. »Wir haben heute noch mehr vor als diesen Ausflug zur Insel!«
Sie traten näher an den Rand des Anlegestegs und sahen nun das längsseits vertäute, offene Boot der Flusspiraten. Es war lang und schmal, was auf Schnelligkeit und Wendigkeit hinwies, hatte vier Ruderbänke und einen aufstellbaren Mast, der jetzt jedoch umgelegt und mit eingewickeltem Segel mitten über den Ruderbänken lag.
»Richie, Dixie, ihr nehmt die Ruderbank vor dem Mast!«, sagte Billy the Butcher mit befehlsgewohnter Stimme. »Und deckt die Waffen im Bug mit Segeltuch ab!«
»Klar doch, Boss!«, kam es von Double-Knife-Dixie. »Wir halten das Pulver schon trocken.«
Coffin und Justin wies der Anführer der Flusspiraten die Plätze gleich hinter dem Fuß des Mastes zu, während er Becky und Timothy auf die Ruderbank vor ihnen setzte. Er selbst blieb hinten am Heck an der Ruderpinne und erteilte ihnen noch einige Verhaltensregeln. Insbesonders schärfte er ihnen ein, im Rhythmus der Ruderschläge zu bleiben, den seine Kumpane vorgeben würden. Auch sollten sie jegliches laute Plätschern vermeiden - es sei denn, sie wollten, dass er das Unternehmen schon auf halber Strecke abbrach, ohne
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