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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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den Küchenraum zwängte, wo sie Arthur Dougherty, bäuchlings auf dem Boden liegend, vorfand. Coffin saß auf seinem Rücken und presste ihm ein Stück Eisenrohr von hinten an den Kopf. »Eine dumme Bewegung und ich blase dir dein Gehirn aus dem Schädel!«, drohte er.
    Timothy riss ihm die dicke Lederbörse aus der Hand. »Raus!«, rief er Becky knapp zu.
    »Wenn du uns folgst, kriegst du eine Kugel verpasst!«, zischte Coffin dem am Boden liegenden Vermieter zu.
    Im nächsten Moment waren sie schon wieder auf dem Flur und rannten in den fünften Stock hoch.
    »Nach unten! Nach unten!«, schrie ihnen jemand zu, der von oben kam. »Da oben ist schon alles voller Rauch!« Und ohne sich aufzuhalten, lief er an ihnen vorbei.
    Mit angehaltenem Atem tasteten sie sich durch den dichten Rauch, der sie umhüllte, nahmen die letzten Stufen zur Dachtür, stießen sie auf und liefen über die Flachdächer, um drei Häuser weiter durch eine andere Dachtür wieder zu verschwinden.
    Coffin und Timothy rissen sich die Wollmützen vom Kopf und steckten sie in ihre Manteltaschen. Becky zitterten die Knie, als sie das Treppenhaus hinunterstiegen. Und dann standen sie endlich auf der Straße.
    Niemand schenkte ihnen Beachtung, als sie sich ohne Hast auf der Mulberry Street in nördlicher Richtung vom Ort ihrer Tat entfernten. Die Aufmerksamkeit aller Passanten richtete sich ausschließlich auf die Menschen, die aus jenem Haus rannten, vor dem Doughertys Kutsche stand und wo sich inzwischen eine Menge Schaulustiger eingefunden hatte.
    Doch erst als sie in die Baynard Street eingebogen waren, wagten sie aufzuatmen.
    Eine ganze Weile gingen sie stumm nebeneinanderher. Es war Timothy, der schließlich das Schweigen brach. »Allmächtiger, es hat geklappt!«, stieß er hervor, und er klang, als könnte er ihr Glück selbst nicht fassen. »Es hat tatsächlich geklappt!«
    Becky war in Angstschweiß gebadet und die Scham über ihr schändliches Tun überwältigte sie mit einer heißen, bitteren Woge der Übelkeit. »Nie wieder! … Nie wieder werde ich so etwas... Abscheuliches tun!« Ihre Stimme zitterte. »Ich schäme mich, dass ich das zugelassen habe.«
    »Mit der Scham kann ich sehr gut leben«, erwiderte Coffin. »Und du wirst auch damit leben können, Becky. Zumindest besser als mit dem Wissen, dass dein Bruder noch jahrelang auf Blackwell’s Island einsitzt!«
    Becky schwieg, denn bei aller Scham und Reue wusste sie doch, dass er damit Recht hatte.
    »Ja, jetzt können wir Billy the Butcher bezahlen!«, sagte Timothy, den offenbar ebenfalls keine Gewissensbisse quälten.
    Ihre Beute betrug achtundneunzig Dollar und fünfundzwanzig Cent. Weder Coffin noch Timothy wandte etwas dagegen ein, als Becky darauf bestand, dass sie den Betrag über die benötigten fünfzig Dollar und ein wenig Kleidergeld, das sie für Daniel brauchten, der nächsten Kirche unauffällig in einen Opferstock steckten, auf dessen Messingschild Almosen für die Armen eingraviert stand.
    Dann machte sich Timothy auf den Weg, um Justin zu finden und ihm mitzuteilen, dass sie das geforderte Geld zusammenhatten und mit der Planung des Ausbruchs beginnen konnten.

29
    B LACKWELL’S Island, nicht ganz zwei Meilen lang und um die siebenhundertfünfzig Fuß an der breitesten Stelle, war die südlichste und damit die Lower Manhattan am nächsten gelegene der drei Inseln, die im East River lagen. Wie ein riesiger schmaler Hering erstreckte sie sich mit ihren felsigen Ufern parallel zu den Straßenfluchten der Stadt. Der Leuchtturm an der Nordspitze der berüchtigten Insel befand sich auf einer Höhe mit der 86th Street, während man die grauen Granitgebäude des Armenkrankenhauses und der Pockenstation auf dem Südzipfel direkt vor seinen Augen hatte, wenn man aus der 51th Street an den East River trat und über den West Channal zur Insel hinüberschaute.
    Wer ein gutes Auge besaß und seinen Blick etwas nach links richtete, konnte ein Stück weiter oberhalb auf der Insel jenseits des Uferbewuchses aus Bäumen, Ginsterbüschen und anderen Sträuchern auch den abweisend finsteren, festungsartigen Gebäudekomplex des Gefängnisses erkennen. Schwere Zinnen wie bei einer trutzigen Kreuzfahrerburg krönten die Mauern, als müsste jederzeit mit dem Sturmangriff feindlicher Heerscharen gerechnet werden. Vier Stockwerke hoch ragte der wuchtige, quadratische Mittelturm der Verwaltung auf, von dem die langen Seitenflügel der New York Penitentiary abgingen. Sie beherbergten

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