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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Schuhe – Johannes musste insgeheim schmunzeln, sprach dann aber etwas an, was ihm drückend auf der Seele lag: »Denk immer daran, dass Sägewerke auch mögliche Ziele sind für die Bomben. Schließlich sind das kriegswichtige Betriebe, so viele Stollenbretter, wie die für die Festungsgräben brauchen. Also, pass auf und renn weg, wenn du so ein Flugzeug hörst!«
    Friedrich lachte hell auf. »Du und deine Schwarzseherei! Die bombardieren große Städte wie Stuttgart oder Karlsruhe. Was wollen die in einem Kaff wie unserem?«
    Johannes ließ sich nicht beirren. »Das wäre nicht das erste Mal!«
    Bevor er aber seine düsteren Betrachtungen weiter fortspinnen konnte, fiel ihm Friedrich ins Wort: »Ich hab dir übrigens noch gar nicht erzählt, dass auch der Ludwig einen Musterungsbescheid bekommen hat.«
    Ludwig Mühlbeck war so alt wie Johannes, seine schulische Laufbahn war allerdings wenig vielversprechend gewesen, er hatte gerade einmal vier Klassen durchlaufen, weil er jedes Mal sitzen geblieben war. Mit Mühe und Not konnte er seinen Namen schreiben. Caspar hatte immer gesagt, er sei eben ein Säuferkind.
    Unwillkürlich musste Johannes lachen. »Ludwig Mühlbeck und ich ziehen gemeinsam in den Krieg, für Kaiser und Vaterland.«
    Auch Friedrich stimmte in das Lachen ein, es klang zwar etwas gezwungen, aber er war froh, dass Johannes es doch so leicht nahm. »Ich glaube, die Guste ist richtig froh, dass er fortmuss. Die alte Mühlbeck plärrt zwar rum, aber so richtig traurig ist keiner.«
    Ludwig Mühlbeck war, was Arbeitsscheu und Liederlichkeit anbelangte, auf dem besten Weg, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Nach der Schule hatte man ihn zum Straßenbau eingeteilt, er war auch am Anfang ein paarmal hingegangen, hatte dann aber den Kranken gespielt und sich in Spelunken herumgetrieben. Auffällig war, dass er im Laufe des Krieges immer wieder zu Geld gekommen war, zumindest so viel, dass er regelmäßig einen tüchtigen Rausch mit heimbrachte. Vater Mühlbeck war in der Zwischenzeit körperlich so hinfällig geworden, dass seine nächtliche Zerstörungswut in engen Grenzen gehalten wurde; vor allem aber hatte er eine Heidenangst vor Ludwig, der zu einem baumlangen, breitschultrigen Kerl herangewachsen war und dem Alten unverhohlen mit Prügeln drohte.
    So war es in der Stadtmühle ruhiger geworden, nur ab und an hörte man in der Nacht das Gegröle und heisere Gekichere von Ludwig, der ansonsten aber gutmütig war. Friedrich vermutete, dass er wilderte. Er beschränkte sich nicht mehr darauf, wie sein Vater ab und zu einen Stallhasen zu stehlen, sondern legte Schlingen aus, um das Wild auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. In der Vergangenheit hatte er hin und wieder den Stadtmühlenbewohnern ein paar Brocken Fleisch geschenkt, die die Ahne zunächst voller Abscheu zurückgewiesen hatte, und auch Lene hatte mehr entsetzt als erfreut gewirkt. Seit Neuestem hatte man nämlich den Verdacht, dass der alte Mühlbeck auch Hunde stahl, sie schlachtete und als »eins a Wildfleisch« verkaufte. Friedrich hatte allerdings vermutet, bei dem geschenkten Fleisch handle es sich um Rehfleisch, und so hatte es gelegentlich einen richtigen Festtagsbraten gegeben, nur Frau Weckerlin hatte gemeint, von gestohlenem Gut könne sie nichts essen.
    Im letzten Jahr allerdings war das Gerede auch der Polizei zu Ohren gekommen und es hatte in der Stadtmühle mehrere Durchsuchungen gegeben. Die Polizei hatte Ludwig immer wieder zum Verhör vorgeladen, ohne ihm allerdings etwas nachweisen zu können. So gesehen war es ganz gut, dass Ludwig seine Energie notgedrungen auf ein anderes Tätigkeitsfeld verlagern musste. Und trotzdem, er tat Johannes leid, wie ihm alle leid taten, die in diesen Krieg ziehen mussten.
    Durch das Fenster der Stadtmühlen-Küche drang trüber Lichtschein. Wahrscheinlich hatten sich die Ahne und die anderen dort versammelt, um auf sie zu warten. Auf einmal fiel Johannes die Angst an, die die ganze Zeit schon in ihm war und die er mühsam niedergekämpft hatte. Sie fiel ihn an wie ein wildes Tier, das sich festbiss und ihn würgte, dass er kaum mehr atmen konnte. Unwillkürlich blieb er stehen. Der Gang mit Friedrich durch die herbstliche Nacht war eine Sache gewesen, da konnte man noch so tun, als ginge das alles einen gar nichts an.
    Aber jetzt, wenn er die Stadtmühle betrat, das Vertraute, das Gewohnte sah, wurde es plötzlich Realität, dass er fortmusste aus seinem Alltag, so entbehrungsreich und

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