Befehl von oben
doch nicht Präsident geworden, sondern ihr Vater. Hat sie denn darum keinen Anspruch auf ein ganz normales Leben als Kind, genau wie Ihr Justin?«
»Aber es ist doch gefährlich und …«
»Aber doch nicht, solange wir hier sind«, versicherte er ihr. Sie wandte sich einfach ab.
»Justin!« Ihr Sohn drehte sich um und sah seine Mutter mit seiner Jacke in der Hand. Er zögerte noch eine Sekunde, dann stieß er mit einem Finger an die Bauklötze und wartete, daß der vier Fuß hohe Turm langsam umstürzte wie ein gefällter Baum.
»Angehender Ingenieur«, bekam Russel über den Ohrhörer mit. »Ich lass' noch ihr Autokennzeichen überprüfen.« Er nickte der Agentin in der Tür zu. In zwanzig Minuten würden sie ein neues Dossier durchsehen können. Es mochte wohl aussagen, daß Mrs. Walker so eine nervige New-Age-Type war, wenn sie aber eine Vergangenheit haben sollte mit seelischen Problemen (möglich) oder gar vorbestraft sein (unwahrscheinlich), müßte man sie im Auge behalten. Automatisch schaute er sich im Zimmer um, dann schüttelte er den Kopf. SANDBOX war ein normales Kind, umgeben von normalen Kindern. Im Augenblick bemalte sie ein weißes Blatt Papier, das Gesicht dabei höchst konzentriert verkniffen. Sie hatte einen ganz normalen Tag durchlebt, ein normales Mittagessen, normalen Mittagsschlaf, und bald würde sie eine abnormale Heimreise in ein höchst abnormales Zuhause antreten. Vom kleinen Diskurs, den er gerade mit Justins Mutter hielt, hatte sie nichts mitbekommen. Kinder waren eben klug genug, einfach nur Kinder zu sein, und das war mehr, als man von vielen der Eltern sagen könnte.
Mrs. Walker ging mit ihrem Sohn zum Familienwagen, einem Volvo, was niemanden überraschte, wo sie ihn in den Kindersitz setzte und pflichtbewußt festschnallte. Die Agentin prägte sich das Kennzeichen zur Überprüfung ein; ihr war aber klar, daß es nichts von Bedeutung ergeben würde und daß die Überprüfung dennoch gemacht würde, denn es konnte immer die Möglichkeit bestehen, daß …
Im Augenblick kam es ihr wieder in den Sinn, der Grund für diese Vorsicht. Sie befanden sich hier beim Giant Steps, derselben Kindertagesstätte, in die die Ryans schon SHADOW gebracht hatten, als sie noch Kleinkind war, direkt am Ritchie Highway, Richtung Annapolis. Die Gangster hatten sich direkt gegenüber den 7-Eleven-Supermarkt ausgesucht, um die Einrichtung abzuchecken, dann waren sie SURGEON in ihrem alten Porsche gefolgt, mit einem Lieferwagen, und auf der Route-50-Brücke hatten sie einen hübschen kleinen Hinterhalt durchgezogen und später bei ihrer Flucht noch einen Polizisten umgebracht.
Dr. Ryan war damals mit SHORTSTOP schwanger, und SANDBOX stand noch nicht mal in den Sternen. All das wirkte jetzt irgendwie seltsam auf Special Agent Marcella Hilton. Sie war wieder ledig – zum zweitenmal geschieden, ohne eigene Kinder –, und es wurde ihr, auch als knallhartem Profi, ganz schwummrig ums Herz, wenn sie Kinder um sich hatte. Sie meinte, es hätte mit ihren Hormonen zu tun oder läge an den Schaltkreisen im weiblichen Gehirn oder einfach daran, daß sie Kinder eben mochte und sich wünschte, selber eins zu haben. Was es auch sein mochte, der Gedanke, daß jemand kleinen Kindern absichtlich etwas zuleide tun könnte, ließ ihr für einen kurzen Moment das Blut in den Adern stocken.
Der Ort war zu ungeschützt. Und es gab wirklich Leute, die es einen Dreck scherte, ob sie Kindern weh taten oder nicht. Und der 7-Eleven war auch noch da. Das Detail für SANDBOX bestand im Augenblick aus sechs Agenten. In ein paar Wochen würde es auf drei oder vier reduziert.
Der Service war nicht die allmächtige Einrichtung, für die Leute ihn hielten. Ja sicher, er hatte den Schmackes, die Ermittlungsbefugnisse, von denen kaum einer was wußte. Nur Bundespolizeikräfte und der Secret Service durften bei jedermann an die Tür klopfen und eintreten und mit demjenigen ein »freundschaftliches« Gespräch führen, der irgendwie eine Bedrohung darstellen mochte – egal, ob die so gewonnenen Erkenntnisse dann vor Gericht als Beweismaterial anerkannt würden oder nicht. Der Zweck eines solchen Gesprächs wäre es, die Betreffenden wissen zu lassen, daß sie ständig das wachsame Auge beobachtete, und wenn das auch nicht ganz – landesweit hatte der Service nur 1200 Agenten – stimmte, genügte allein der Gedanke daran, den Leuten, die etwas Falsches ins falsche Ohr gesagt hatten, unheimliche Angst einzujagen.
Aber
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