Befehl von oben
begann.
Jack vermißte die Normalität, nur die Zeitung zu lesen. Obwohl die Washington Post – gewöhnlich – nicht annähernd so gut war wie die Geheimdienstdokumente, die auf dem Tisch auf ihn warteten, fand er in ihr auch Dinge, die nicht von reinem Regierungsinteresse waren und somit Nahrung für sein Bemühen, auch sonst auf dem laufenden zu bleiben. Das erste dienstliche Schreiben, das er bekam, war ein SNIE, ein dringliches offizielles Dokument, das in einer Mappe steckte. Ryan rieb sich die Augen.
Verdammt! Na ja, es hätte auch schlimmer kommen können, sagte sich der Präsident. Zumindest hatten sie ihn diesmal nicht geweckt, um etwas mitzuteilen, das er ohnehin nicht ändern konnte. Er warf einen Blick auf seinen Terminplan. Okay, Scott Adler würde im Hause sein, um das mit ihm zu besprechen, zusammen mit diesem Vasco. Gut. Vasco schien seine Sache zu verstehen. Wer noch heute? Er überflog das Blatt. Sergej Golowko? War das heute? Also etwas Abwechslung. Kurze Pressekonferenz, um Tony Bretanos Ernennung zum Verteidigungsminister zu verkünden, mit einer Liste möglicher Fragen, die man bedenken sollte, und Instruktionen von Arnie – ignoriere möglichst die Kealty-Frage. Laß Kealty und seine Behauptungen an Apathie eingehen – oh, ja, das war ein guter Einzeiler! Jack mußte husten, als er sich Kaffee eingoß – sich das Recht zu erwerben, das selbst zu tun, hatte eine direkte Anweisung erfordert; er hoffte, daß die Messestewards von der Navy das nicht als persönliche Beleidigung empfanden, aber Ryan war es gewohnt, einige Dinge selbst zu tun. Im Augenblick war es so vereinbart, daß die Stewards das Frühstück bereiteten und auftrugen und dann die Ryans sich seihst bedienen ließen, während andere im Korridor bereitstanden.
»Morgen, Jack.« Cathys Kopf tauchte im Blickfeld auf. Er küßte sie auf den Mund und lächelte.
»Guten Morgen, Liebling!«
»Ist die Welt draußen noch da?« fragte sie und schenkte sich Kaffee ein. Das verriet dem Präsidenten, daß die First Lady heute nicht operierte. An einem Operationstag rührte sie nie Kaffee an, sagte, daß sie nicht das leiseste Zittern riskieren konnte, wenn sie jemanden am Augapfel schnitt. Diese Vorstellung ließ ihn erschauern, auch wenn sie vor allem mit Laser operierte.
»Sieht ganz so aus, als ob die irakische Regierung zerfällt.«
Ein weibliches Prusten. »War das nicht schon vorige Woche?«
»Das war Akt eins. Das hier ist Akt drei.« Oder vielleicht Akt vier. Er fragte sich, was wohl Akt fünf sein würde.
»Von Bedeutung?« Jack hörte den Toaster knacken.
»Könnte sein. Wie sieht dein Tag heute aus?«
»Klinischer Unterricht und Nachuntersuchungen, Budget-Gespräch mit Bernie.«
»Hm.« Als nächstes begann Jack, den Early Bird durchzusehen, eine Sammlung von Ausschnitten aus den wichtigsten Zeitungen, die von der Pressestelle des White House zusammengestellt wurde. Cathy tauchte wieder in seinem Blickfeld auf, als sie einen Blick auf seinen Terminplan warf.
»Golowko …? Bin ich dem nicht schon in Moskau begegnet – war das nicht der, der darüber gescherzt hatte, eine Waffe auf dich gerichtet zu haben!«
»Das war kein Scherz«, klärte Ryan auf. »Es ist wirklich passiert.«
»Ach, komm!«
»Später hat er gesagt, sie wäre nicht geladen gewesen.« Jack fragte sich, ob das tatsächlich gestimmt hatte. Vermutlich, sagte er sich.
»Und er hat die Wahrheit gesagt?« fragte sie ungläubig.
Der Präsident lächelte. Erstaunlich, dachte er, daß das einem jetzt so lustig vorkommt. »Er hatte damals eine Stinkwut auf mich. Das war, als ich bei der Flucht des KGB-Vorsitzenden behilflich gewesen bin.«
Sie griff zur Morgenzeitung. »Jack, ich weiß nie so recht, ob du mich bloß auf den Arm nimmst.«
Jack dachte nach. Die First Lady war, rein formal, eine Privatperson.
Mit Sicherheit in Cathys Fall, denn sie war keine politische Ehefrau, sondern eine praktizierende Ärztin, die sich für Politik sowenig interessierte wie für Gruppensex. Sie besaß darum auch, rein formal, keine Unbedenklichkeitsbescheinigung, doch es wurde angenommen, daß der Präsident seiner Gattin ebenso vertraute wie jeder normale Mensch.
Übrigens ergab das Sinn. Ihr Urteilsvermögen war genauso gut wie seins, und unwissend, wie sie auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen auch sein mochte, traf sie doch jeden Tag Entscheidungen, die das Leben von Menschen unmittelbar und unverzüglich betrafen. Wenn sie etwas verpatzte,
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