Befehl von oben
für viele ist es eine lange und anstrengende Nacht gewesen.« Der Korrespondent nickte dazu und entschied, daß jetzt eine Frage zum menschlichen Aspekt fällig war.
»Wo haben Sie und Ihre Angehörigen geschlafen? Ich weiß, daß es nicht hier war.«
»Bei den Marines in der Kaserne, Eighth, Ecke First Street«, antwortete Ryan.
»Oh, Scheiße, Boß!« murmelte Andrea Price an der Tür. Ein paar Medienleute hatten das herausgefunden, aber der Service hatte es niemandem bestätigt, und die meisten Nachrichtensender hatten berichtet, daß sich die Familie Ryan an einem ›unbestimmten Ort‹ befand. Na ja, die kommende Nacht würden sie woanders schlafen. Verdammt.
»Wieso dort?«
»Nun, irgendwo mußte es ja sein, und da schien mir das ganz passend.
Ich war ja selber mal bei den Marines, Barry«, sagte Jack ruhig.
»Wissen Sie noch, wie wir sie in die Luft gejagt haben?«
*
»Eine prachtvolle Nacht.« Der Nachrichtendienst-Offizier erinnerte sich, wie er durchs Fernglas von der obersten Etage des Beirut Holiday Inn aus zugeschaut hatte. Schwierig war nur die Wahl des richtigen Fahrers gewesen. Den amerikanischen Marines haftete ein seltsames Gepräge an, etwas Mystisches, an dem Ryans Volk sich wärmte. Aber sie starben so wie jeder andere Ungläubige.
Belustigt fragte er sich, ob wohl einer seiner Leute in Washington einen großen Lkw kaufen oder leasen könnte … Den amüsanten Gedanken schob er beiseite – es gab anderes zu tun. Und praktisch war es ohnehin nicht. Er war schon mehr als einmal in Washington gewesen und hatte auch die Marines-Kaserne ausgekundschaftet. Sie war zu leicht zu verteidigen. Wirklich zu schade.
Machte doch ihre politische Bedeutung dieses Ziel höchst attraktiv.
»Nicht sehr clever«, sagte Ding in seinen Morgenkaffee.
»Meinste, der versteckt sich?« wollte Clark wissen.
»Du kennst ihn, Daddy?« fragte Patricia.
»Ja, tatsächlich. Ding und ich haben auf ihn aufgepaßt, als wir noch SPOs waren. Ich kannte seinen Vater, einmal …«, fügte John hinzu, ohne zu überlegen, was eigentlich gar nicht seine Art war.
»Wie ist er denn so?« fragte Patsy ihren Verlobten. Der Ring an ihrem Finger war noch ganz neu.
»Ganz schön clever«, meinte Chavez. »Bißchen ruhig. Netter Kerl, immer ein gutes Wort. Na ja, meistens.«
»Kann hart sein, wenn er muß«, stellte John fest und warf dabei einen Blick auf seinen Partner und baldigen Schwiegersohn. Beim Gedanken daran lief es ihm beinahe kalt über den Rücken.
Dann sah er den Blick seiner Tochter, und der Schauer wurde Wirklichkeit. Verdammt.
»Tatsache«, stimmte der Jüngere zu.
*
Die Scheinwerfer ließen Ryan unter seinem Make-up schwitzen, und er kämpfte dagegen an, sich des Juckens wegen im Gesicht zu kratzen. Die Hände konnte er ruhig halten, aber die Gesichtsmuskeln begannen zu zucken, und er hoffte, die Kameras fingen das nicht ein.
»Ich fürchte, mehr kann ich nicht sagen, Barry«, fuhr er fort, die Hände immer noch fest gefaltet. »Es ist noch zu früh, um auf manche Fragen substantiell zu antworten. Wenn wir handfeste Antworten geben können, werden wir es tun. Vorher nicht.«
»Sie haben einen langen und schweren Tag vor sich«, sagte der CNN-Reporter mitfühlend.
»Barry, das haben wir alle.«
»Vielen Dank, Mr. President.« Er wartete, bis die Scheinwerfer ausgingen und er aus der Sendezentrale in Atlanta einen Off-Kommentar hörte, ehe er sagte: »War gut. Danke!«
Da kam van Damm herein und stieß dabei Andrea Price beiseite.
Kaum einer konnte sich erlauben, einen Secret-Service-Agenten zu berühren, geschweige denn herumzustoßen, ohne schwerwiegende Folgen, doch Arnie gehörte dazu.
»Ganz gut. Weiter so! Die Fragen beantworten. Und die Antworten kurz halten.«
Als nächste kam Mrs. Abbot Ryans Make-up kontrollieren. Eine sanfte Hand berührte seine Stirn, während die andere ihm mit einer kleine Bürste das Haar richtete. Nicht einmal zu seinem High-School-Ball – wie hieß sie noch gleich? fragte sich Ryan – hatte jemand so viel Aufhebens um sein störrisches schwarzes Haar gemacht. Unter anderen Umständen wäre das zum Lachen gewesen.
Die CBS-Moderatorin war Mitte Dreißig und ein positiver Beweis dafür, daß sich Verstand und Aussehen nicht gegenseitig ausschließen müssen.
»Mr. President, was ist von der Regierung noch übrig?« fragte sie nach einer Reihe der üblichen Kennenlern-Fragen.
»Maria« – Ryan war instruiert worden, jeden Reporter mit dem Vornamen
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