Befehl von oben
kümmerte sich nicht darum, Stärke und Entschlußkraft zu zeigen. Und Koga wußte, warum. Mehr als jeder andere in der Kirche wußte Koga, woraus dieser Ryan geschnitzt war. Er hatte schon recht gehabt, vor ein paar Tagen in seinem Büro. Ryan war Samurai, wenn nicht noch mehr. Er tat, was er tat, scherte sich nicht darum, was andere dachten. Der japanische Premierminister hoffte, daß dies kein Fehler war, als er den Präsidenten der Vereinigten Staaten die Stufen herunterkommen und zu den Durling-Kindern hingehen sah. Ryan nahm sie fest in den Arm, und es wallten in seinem Gesicht Tränen auf, wie die Zuschauer sahen. Wo die Staatsoberhäupter saßen, waren Schluchzer zu hören, doch Koga wußte, daß die meisten von ihnen geheuchelt waren – oder wenn nicht, dann nur flüchtige Augenblicke gerade noch vorhandener Reste von Menschlichkeit und bald wieder vergessen. Er bedauerte, daß er nicht beipflichten konnte, doch die Konventionen seiner Kultur waren streng, und dazu kam, daß er die Schande tragen mußte, daß ein Bürger seines Landes diese gewaltige Tragödie verursacht hatte.
Er mußte das politische Spiel spielen, wenn er sich auch am liebsten anders entschieden hätte, und es war nicht so sehr, daß Ryan das Spiel nicht spielen mußte, als daß er sich darum nicht scherte. Koga fragte sich, ob Amerika dieses Glück erkannte.
*
»Er hat die vorbereitete Rede gar nicht gehalten«, stellte der Moderator fest. Diese war allen Nachrichtensendern vorab zur Verfügung gestellt worden. Und alle Kopien waren an wichtigen Stellen schon angestrichen und hervorgehoben, damit die Reporter sie bedarfsweise wiederholen konnten, um Wichtiges zu vertiefen, das der Präsident fürs Publikum gesagt haben mochte. Statt dessen war der Moderator gezwungen, sich Notizen zu machen, was ihm schwerfiel, denn seine Zeit als Reporter im Dienst war lange vorbei.
»Sie haben recht«, stimmte der Kommentator widerwillig zu. So machte man das einfach nicht. Auf seinem Monitor hielt Ryan immer noch die Durling-Kinder im Arm, und auch das dauerte schon zu lang.
»Ich nehme an, der Präsident hat das für einen wichtigen Augenblick in ihrem Leben erachtet …«
»Und das ist es mit Sicherheit auch«, warf der Moderator ein.
»Mr. Ryans Aufgabe ist aber, ein Land zu regieren.« Der Kommentator schüttelte den Kopf. Offensichtlich dachte er etwas, das noch nicht gesagt werden durfte: nicht präsidial.
Jack mußte schließlich loslassen. Jetzt war nur noch Schmerz in ihren Augen. Der objektive Teil in ihm meinte, daß das – den mußten sie herauslassen – vermutlich gut war, doch das machte es nicht leichter, sie anzusehen, denn Kinder in dem Alter sollten solche Dinge überhaupt nicht erfahren. Aber diesen Kinder war es passiert, und man konnte nichts anderes tun, als irgendwie versuchen, ihre Qual zu mildern. Jack warf einen Blick auf die Onkel und Tanten, die die Kinder begleiteten.
Auch sie weinten, aber durch ihre Tränen hindurch sah er dankbare Blicke, und das zumindest sagte ihm, daß er etwas getan hatte. Er nickte ihnen zu und begab sich wieder auf seinen Platz. Cathy sah ihn an, auch in ihren Augen waren Tränen, und obwohl sie nicht sprechen konnte, ergriff sie seine Hand. Und wieder bekam Jack ein Beispiel für die Intelligenz seiner Frau zu sehen. Sie trug kein Augen-Make-up, das ihr jetzt übers Gesicht laufen würde. Innerlich mußte er lächeln. Er mochte Make-up nicht, und seine Frau benötigte eigentlich auch keins.
»Was wissen wir von ihr?«
»Sie ist Ärztin, genauer Augenchirurgin, und angeblich gut.« Er sah in seine Aufzeichnungen. »Wie die amerikanischen Medien berichten, arbeitet sie weiter in ihrem Beruf, trotz ihrer offiziellen Verpflichtungen.«
»Und die Kinder?«
»Darüber habe ich noch nichts … Aber ich könnte herausfinden, welche Schule sie besuchen.« Er sah den fragenden Blick und fuhr fort.
»Wenn die Frau weiter ihrem Beruf nachgeht, dann nehme ich an, daß die Kinder auch auf den bisherigen Schulen bleiben.«
»Wie läßt sich das herausfinden?«
»Einfach. Alle amerikanischen Nachrichten können über Computer abgefragt werden. Ryan ist das Thema vieler Nachrichtensendungen gewesen. Ich kann alles herausfinden, was ich will.« Im Grunde hatte er das bereits, aber nicht in bezug auf die Familie. Dem Nachrichtendienstler hatte das moderne Zeitalter sein Leben so viel leichter gemacht. Er kannte schon Ryans Alter, Körpergröße, Gewicht, Haar- und Augenfarbe und viele seiner
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