Befohlenes Dasein
Holzstöße, die jeweils um einen hohen, zwei Meter langen, ziemlich dicken Pfahl errichtet wurden.
Und immer mehr Volk quillt aus den Stadttoren heraus. Dieses Volk verteilt sich auf die lange Front der Holzstöße. Je zwei der Delinquenten werden zu den Pfählen geführt und gezwungen hinaufzusteigen.
Es ist bezeichnend, daß sich die zum Tode Verurteilten gar nicht wehren. Im Gegenteil – sie singen die Lieder ihrer Peiniger mit. Was muß es für ein Zwang sein, mit dem diese Menschen schon von Kindheit an zu Anhängern dieser Sekte des großen Geistes Litpaka erzogen wurden!
Ko-os Teran und Ira Tarwi unterliegen diesem Zwang nicht. Der ehemalige Bankdirektor vom Planeten Kidor zwingt sich zu äußerster Ruhe und Besonnenheit. Die Bewachung ist schlecht organisiert. Diese Sektierer halten es für unmöglich, daß noch einer der von ihnen Verhafteten es wagen würde, zu entfliehen. Und immer näher rückt der Augenblick des Verhängnisses. Noch vier Männer und zwei Frauen sind es, die vor ihnen auf die Holzstöße geschleppt werden. Dann werden sie an der Reihe sein.
„Aufpassen!“ flüstert Teran seinen beiden Mitverschworenen zu. „Es geht gleich los! Sobald die Kerle herangekommen sind, packen wir ihre Knüppel und fliehen zwischen den beiden Holzstößen hindurch in den Kiefernwald. Dann auf die Anhöhe! Kaltes Blut bewahren, nichts überstürzen! Es kommt jetzt alles auf unsere Ruhe an und auf unsere Intelligenz! Achtung, da kommen sie!“
Unbewußt strafft sich die Gestalt des heimlichen Verbündeten. Mit erhobenen Knüppeln kommen die beiden schwarzgekleideten Henkersknechte heran. In diesem Augenblick geschieht es.
Ko-os Teran hat mit einem blitzschnellen Griff dem Sektierer, der ihm am nächsten stand, den Knüppel aus der Hand gewunden.
„Fort, Ira!“ ruft er seiner Begleiterin zu. Dann schlägt er zu. Auch sein Komplice leistet gründliche Arbeit.
Von drüben, wo die Zuschauer des grausigen Geschehens stehen, erklingen schrille Rufe. Ira Tarwi ist schon durch die beiden Holzstöße hindurch in das Kiefernwäldchen gejagt, nun folgen ihr die beiden Männer mit höchster Geschwindigkeit.
Ein allgemeines Gebrüll erhebt sich.
Das ganze Volk setzt sich in Bewegung, um sich der drei Entflohenen wieder zu bemächtigen. Nur die Verurteilten bleiben zurück, die man an die Pfähle gebunden hat und die durch diese Verfolgungsjagd noch eine kleine Galgenfrist erhalten.
Ko-os Teran ist klein und von fülliger Körperform. Noch niemals in seinem Leben ist er so gerannt, noch nie hat er es aber auch nötig gehabt, um sein Leben zu laufen. Der neben ihm laufende Athlet hält Schritt mit ihm und gibt sich noch längst nicht ganz aus. Von Ira Tarwi ist nichts zu sehen, wahrscheinlich hat sie alle ihre Kräfte angestrengt, um einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen.
Einer der Verfolger, ein noch ziemlich junger Kerl in der schwarzen Uniform der Sektierer, hat sich nicht an der allgemeinen Jagd durch den Kiefernwald beteiligt, sondern ist seitlich an diesem entlanggelaufen. Er hat richtig kalkuliert, nämlich, daß die Entflohenen nach der Durchquerung des Wäldchens sich nach links wenden, um die Anhöhe zu erreichen. Durch seine Umgehungstaktik ist er seinen Gefährten weit vorausgekommen. Als Ko-os Teran aus dem Wäldchen bricht, um über die Wiese und zwischen dem Buschwerk die Richtung nach der Anhöhe zu nehmen, ist dieser Verfolger nur wenige Meter von ihm entfernt. Teran ahnt nicht, wie nahe ihm das Verhängnis ist, doch hat er das Glück, daß sein Gefährte etwas zurückgeblieben ist. Dieser prallt mit dem Schwarzgekleideten in vollem Lauf zusammen. Ehe dieser imstande war, sich wieder aufzuraffen, hat ihn sein bärenstarker Gegner außer Gefecht gesetzt. In der nächsten Sekunde befinden sich sein Knüppel und seine Messerwaffe in den Händen des Entflohenen. Mit wenigen Sätzen hat er Teran eingeholt.
„Wo ist die Frau?“ fragt er keuchend.
„Ich weiß es nicht, ich sehe sie nicht. Vielleicht ist sie schon auf der Anhöhe?“
Der Gefährte schüttelt den Kopf. „Sie kann nicht fliegen. Sie ist falsch gelaufen und hat sich im Wald verirrt.“
„Dann ist sie verloren. Aber wir können sie nicht retten, denn wir kommen nicht gegen die Übermacht auf. Hinter der Anhöhe beginnt ein großer Waldstreifen, der bis zum Mittelgebirge reicht. Ich habe es von der Stadtmauer aus gesehen. Wenn wir den Wald erreichen, sind wir vorläufig gerettet.“
Sie haben dreiviertel des Anstieges
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