Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
in diesem Sinne verschleiern ritualisierte Verteilungskämpfe zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, dass sich dahinter eine beständige Komplizenschaft in der Aneignung von Zuwächsen verbirgt, die aus gesteigerter Ressourcenaneignung resultieren.
Die Simulation eigener Leistung
In seinem Klassiker »Small is Beautiful« (1973) beklagt Ernst Friedrich Schumacher, dass moderne Technologien den Menschen die Handarbeit rauben. Sehr pointiert zieht er eine Trennlinie zwischen Personen, die »wirklich produzieren«, und solchen, die »anderen sagen, was sie tun sollen [...] oder verteilen, was andere produziert haben«. Immer mehr Verrichtungen, die als Arbeit gelten, bestehen offenkundig in nichts anderem als reiner Informationsverarbeitung oder Koordination. Dies resultiert aus dem Zusammenspiel von technischem Fortschritt, gesteigerter Energiezufuhr und sich wandelnden Organisationsstrukturen im Laufe der vergangenen 150 Jahre. Dabei fällt auf, dass die Form, in der menschliche Arbeit zur Güterherstellung beiträgt, oft kaum mehr von Konsumhandlungen unterscheidbar ist.
Wenn früher zwei Einzelteile eines herzustellenden Produktes zusammengeschraubt werden mussten, wurde ein Schraubendreher verwendet. Dessen Nutzung erforderte körperliche Arbeit. Letztere konnte durch die Erfindung des mechanischen Drillschraubendrehers reduziert werden, der noch ohne äußere Zufuhr von Energieträgern auskam. In einem weiteren Entwicklungsschritt wurden elektrische Schrauber eingeführt, also vollwertige Energiesklaven, die aber immerhin noch manuell bedient wurden und handwerkliches Geschick benötigten. Als nächstes wurden Produktionsanlagen konzipiert, durch die der Vorgang des Schraubens vollständig maschinell ausgeführt werden konnte. Nur die Überwachung und Steuerung dieser Anlagen verblieb als menschliche Arbeit. Aber selbst die Steuerung kann inzwischen oft automatisiert werden, etwa dadurch, dass die Ausbringung einer Arbeitsstation elektronisch an den Bedarf der jeweils nachfolgenden Arbeitsstation gekoppelt ist.
Natürlich verschwindet der Produktionsfaktor Mensch auch hier nicht gänzlich: Er plant, steuert, designt, koordiniert, kommuniziert oder gestaltet Informations- und Geldflüsse. Aber insgesamt besteht jede Leistung, die ihm zugerechnet werden kann, in nichts anderem als darin, selbst nur Leistungen abzurufen. Die Bedienung elektrischer Schrauber oder automatisierter Arbeitsstationen bedeutet, energieintensive Prozesse auszulösen und »geronnene« Energie zu nutzen, die zur Produktion der beanspruchten technischen Hilfsmittel verbraucht wurde. In anderen Fällen werden die an ein Individuum oder Team übertragenen Aufgaben dadurch bearbeitet, dass sie in weitere Teilaufgaben zerlegt und dann an andere Arbeitsstationen oder Produktionsstandorte delegiert werden. So könnte das Vorprodukt im obigen Beispiel schlicht von einem Hersteller aus China beschafft werden, der sich genau darauf spezialisiert hat.
Dies heißt im Extremfall, dass menschliche Arbeit selbst keine physische Ressource mehr darstellt, sondern mit enormer Wirkmächtigkeit Ressourcenströme vereinnahmt. Genau genommen ähnelt moderne Produktion einem Verstärker, der ein minimales menschliches Signal in eine donnernde Symphonie der Energie- und Materialumwandlung übersetzt. Entlang einer kaskadenartigen Abfolge von Bearbeitungsstufen wird alles potenziell Anstrengende, Lästige oder Schmutzige entweder an die Technik oder entfernt liegende Standorte verlagert. Dies wird durch eine tiefe, raumübergreifende Spezialisierung möglich. Je länger und ausgefächerter die Kette zwischen Ressourcengewinnung und fertigem Endprodukt ist, umso ergiebiger sind die Möglichkeiten, sich physischer Anstrengung mit Hilfe eines globalen Verschiebebahnhofs zu entledigen. So wird aus Plackerei ein »humanisiertes Arbeitsleben« – wohlgemerkt in prosperierenden Industriegesellschaften.
Indem sich menschliche Arbeit also zunehmend in reiner Symbolik erschöpft, ist ihr Wert entsprechend abstrakt. Dieser bemisst sich nach ökonomischem Verständnis und erst recht gemäß zeitgenössischer Lohnpolitik an der Arbeitsproduktivität. Letztere steigt, wenn der pro Ausbringungseinheit erforderliche Arbeitseinsatz infolge technischen Fortschritts sinkt. Dividiert man den Gesamtoutput durch die Menge der dafür zu leistenden Arbeitsstunden, so steigt folglich dieser Wert und damit das Arbeitseinkommen. Anders ausgedrückt: Die vielen Energiesklaven
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