Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Denken wir etwa an die enorme Steigerung der Produktivität menschlicher Arbeit. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als eine gigantische Aufrüstung mit Energie umwandelnden Apparaten und Prozessen, so dass die pro Ausbringungsmenge noch erforderliche menschliche Arbeit immer weni ger wird. Um wie viel sind dadurch die Energieverbräuche gestiegen? Die Geschichte des technischen Fortschritts war niemals etwas anderes als eine Abfolge von Übergängen zu höheren Ebenen des Energieverbrauchs. Aber darauf wird an anderer Stelle noch näher eingegangen (siehe Kapitel VI).
Natürlich sind die beiden Effizienztypen I und II eng miteinander verzahnt: Ohne punktuelle Produktivitätsfortschritte ließen sich irgendwann auch globusweit keine weiteren Spezialisierungsvorteile in Form von Kompetenz- oder Kostendifferenzen mehr aufspüren. Technische Innovationen verhindern einen derartigen Stillstand. Diese »neuen Kombinationen«, wie Schumpeter sie nannte, verhelfen zur Verwertung bislang brachliegender Ressourcenbestände, die nun produktiv in den arbeitsteiligen Prozess integriert werden. So können beispielsweise durch die Wind-, Solar- und Bioenergienutzung viele Flächen und Offshore-Gebiete als neue Ressource aktiviert werden. Vorher waren diese Flächen nur »unproduktive« Bestandteile der Natur. Auf ähnliche Weise führt die Digitalisierung dazu, dass seltene Rohstoffe, wie beispielsweise afrikanisches Coltan, für das sich vorher niemand interessierte, als Inputfaktor zum Gegenstand neuer oder weiterer globaler Austauschbeziehungen werden können. Die kolossalen Mengen an Elektroschrott bieten wiederum als »Wirtschaftsgut« neue Möglichkeiten für eine weltweit arbeitsteilige Entsorgungsindustrie.
Es liegt also nahe, dass beide wichtigen Spielarten der Effizienz (Spezialisierung und technischer Fortschritt) nur auf einer Intensivierung der Ressourcenplünderung beruhen. Was aber wäre, wenn man Ernst machte mit den Versprechungen all der »Effizienzsteigerungen« und zu einem beliebigen Zeitpunkt einfach jeden weiteren Zuwachs des Ressourcendurchsatzes und Flächenverbrauchs stoppen würde, um sicherzustellen, dass sich die Wirtschaft allein kraft »echter« Effizienz entwickelt? Angenommen, es wäre 1970, 1980 oder 1990 zu einer solchen Deckelung der ökologischen Plünderung gekommen – hätte der Güterwohlstand dann allein durch Effizienz annähernd das heutige Niveau erreichen können? Wohl kaum. Im Übrigen ist die viel beschworene Effizienz nicht der einzige Mythos, den es zu entzaubern gilt.
Arbeitskraft als Quelle für Wohlstand?
Wer hart arbeitet, bekommt Geld und kann sich dafür einiges kaufen. Somit gelten Konsum- und Mobilitätswohlstand als »verdient« oder »erarbeitet«. Wirklich?
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Logik des Konsumierens. Konsumgüter setzen industrielle Arbeitsteilung voraus. Jegliche Produktion wird in spezialisierte Teilaufgaben zerlegt, die entweder anderen, zumeist räumlich entfernten Arbeitsstationen oder Maschinen zugewiesen werden. Durch letztere erfolgen Prozesse der stofflichen Umwandlung. So bildet sich ein kaskadenartiges System, an dessen Anfang die Ressourcengewinnung steht. Die Rohmaterialien werden nun auf eine lange Reise geschickt. Sie durchlaufen globusweit verteilt liegende Verarbeitungsstufen. Am Ende dieser sogenannten Wertschöpfungskette lassen sich dann die vielen Produkte und Dienstleistungen in Empfang nehmen, die verbraucht werden und zum Bruttoinlandsprodukt beitragen.
Durch Konsum greifen Individuen auf Güter zurück, deren Herstellung und Verbrauch zwei getrennte Sphären sind. Konsumenten verbrauchen prinzipiell Dinge, die sie selbst niemals herstellen könnten oder wollten – andernfalls wären sie Produzenten oder Selbstversorger. Mehr noch: Mit zunehmendem Konsumwohlstand nehmen der räumliche Radius und die Komplexität des Produktionssystems, dem die in Anspruch genommenen Leistungen entstammen, kontinuierlich zu. Das Wesensprinzip des Konsumierens besteht darin, sich die von anderen Menschen an anderen Orten geleistete Arbeit und insbesondere den materiellen Ertrag andernorts verbrauchter Ressourcen und Flächen zunutze zu machen. Diese Form der Bemächtigung wird selbst von gesellschaftskritischen Theorien entweder ausgeblendet oder als gerechtfertigt betrachtet, weil darin der legitime Gegenwert für selbst geleistete Arbeit gesehen wird. Insoweit Kapitalismuskritik allein die unternehmerische Aneignung eines sogenannten
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