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Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Titel: Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niko Paech
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auch der Anspruch auf einen entsprechenden Anteil an der Wertschöpfung. So werden der Übergang von körperlicher zu symbolischer Arbeit und die damit einhergehende Bedarfsexplosion globalisiert. Lautmalerisch unterstützt wird diese Tendenz von einem digitalen Humanismus, demzufolge jedes afrikanische Kind demnächst mit einem sogenannten »100-Dollar-Notebook« nebst Internetanschluss ausgestattet werden soll. Dies erlaubt den Blick in die Schaufenster einer bunten Warenwelt, eines bequemen Lebens, prestigeträchtiger Karrieren, attraktiver Reiseziele inklusive Onlinebuchung günstiger Flugtickets dorthin.
    Bei hinreichender Verbreitung des auf Entgrenzung beruhenden Wohlstandsmodells (gebietet dies nicht der Imperativ globaler Gerechtigkeit!?) müsste die Erde irgendwann ausschließlich von wohlsituierten Konsumenten bevölkert sein, die allerdings niemanden mehr haben, dem sie die Schmutzarbeit der physischen Produktion zuschieben können – außer einer gigantischen technischen Infrastruktur, deren Ressourcenverbräuche dann vermutlich nur noch durch die Erschließung eines neuen Planeten zu befriedigen wären. Dinghafter Wohlstand – und zwar maß- und grenzenlos – ist nicht mehr an eigene dinghafte Beiträge gebunden, sondern an die Integration in das industrielle Versorgungssystem. Wie schon gesagt, um sich den Zugang zu sichern, ist Geld vonnöten, und zwar als »Entlohnung« für mehr oder weniger symbolisches Handeln. Wie gelingt es nun, in der Hierarchie der Symbolproduktion möglichst hoch aufzusteigen? Durch Bildung!

    Wissen als Quelle für Wohlstand?
    Liegt nicht die Quelle und folglich die Rechtfertigung der wundersamen Wohlstandsmehrung in einer Zunahme an Bildung, die den entscheidenden menschlichen Inputfaktor darstellt, also »Kopfarbeit«? Wenngleich der emsig gepflegte Mythos einer Wissensgesellschaft zu derlei Assoziationen einlädt, lässt sich über eines schwer hinwegtäuschen: Bis heute existiert kein Auto oder Flugzeug, das sich mit flüssigem Wissen anstelle mit Benzin bzw. Kerosin auftanken lässt. Genauso wenig handelt es sich bei Shopping-Centern, Kohlekraftwerken, Windkraftanlagen, Mobiltelefonen, Kreuzfahrten, Hotelübernachtungen etc. um geronnenes Wissen, sondern um materiellen Output. Tatsächlich ließe sich eher konstatieren, dass gesteigertes Wissen einfach nur dazu verholfen hat, ökologische Ressourcen, insbesondere Energie und Flächen, zusehends effektiver zu plündern und in noch mehr Mobilität oder Konsum zu transformieren.
    Dennoch oder gerade deshalb wird seit langem eine beispiellose Mobilmachung des Bildungs- und Wissenschaftssektors propagiert. Das Wohl und Wehe moderner Gesellschaften hinge davon ab, so wird unter panischer Beschwörung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit suggeriert, möglichst viele Menschen mit einem akademischen Abschluss zu versehen. Ganz gleich ob Ganztagsschulen, Bologna- Prozess, Bildungsaufenthalte an den entlegensten Orten oder computerisierte Klassenzimmer – der pädagogische Fortschrittseifer schreckt vor nichts zurück. Muss er auch nicht, denn innerhalb eines politischen Überbietungswettbewerbs kristallisiert sich der Fluchtpunkt hieraus, Bildung und Wissenschaft als Universallösung für alle gegenwärtigen Probleme zu betrachten.
    Aber was, wie und zu welchem Zweck lernen junge Menschen heute? Der Vollzug des modernen Bildungsideals konditioniert Individuen, die vollständig in die entgrenzte Arbeitsteilung und Mobilität eingebunden sind. Junge Menschen werden mit hoher Reflexions- und Kommunikationsfähigkeit ausgestattet, verfügen aber über eine manuelle Kompetenz, die sich zusehends auf die Bedienung eines Touchscreens beschränkt. Diese praktisch-handwerkliche Beunfähigung ist der Preis für ein bequemes Dasein, dessen materielle Basis sich aus purer Delegation speist. Die bildungspolitische Unrast kennt im Wesentlichen nur ein Ziel: möglichst jeden Menschen mit einem Zertifikat zu versehen, um ihn an der abstrakten Arbeitsteilung und einem komfortablen, mühelosen Leben teilhaben zu lassen.
    Dieses Versprechen löst eine weitere Anspruchsdynamik aus. Wer genug akzeptierte Stationen eines Bildungsweges absolviert hat, verbindet damit das Recht auf einen Arbeitsplatz, welcher exakt der erworbenen Qualifikation entspricht. Ebenso wird erwartet, dass mit der erlangten Position innerhalb der Bildungshierarchie eine bestimmte Einkommensuntergrenze korrespondiert. Was könnte für einen promovierten Philosophen oder

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