Begegnung in Tiflis
Sekt, Kaviar, ein widerliches bourgeoises Leben – was kann da schon herauskommen? Drei Jahre ist dieser Borokin schon am Rhein. Viel zu lange. Er sollte abgelöst werden und nach Ulan-Bator kommen. Von rheinischen Weinbergen in die mongolische Steppe, das ist die richtige Abwechslung.
Jassenskij sah Borokin kopfschüttelnd an. »Überlegen Sie mal, was nun los ist! Wir haben einen Sarg mit den sterblichen Überresten Bettina Wolters freigegeben. Er ist in Hamburg.«
»Um Gottes willen!« entfuhr es Borokin. Jassenskij lächelte verkniffen.
»Wie stehen wir da?!« sagte er dumpf. »Lächerlich machen wir uns.«
»Ist es meine Schuld, Genosse Oberst? Wer hat diesen blöden Sarg denn nach Hamburg geschickt?«
Jassenskij vermied es, darauf eine Antwort zu geben. Wer tritt sich schon gerne selbst in den Hintern? Ganz davon abgesehen, daß dies eine artistische Leistung wäre.
»Fragen wir anders, Genosse«, bellte Jassenskij. »Warum haben Sie aus diesem Oberleutnant Wolter nicht mehr herausgeholt? Sie hatten alle Druckmittel in der Hand. Nun steckt die Karre im Dreck! Man weiß jetzt, wer Sie sind, man wird in kürzester Zeit wissen, daß der Sarg ein Betrug ist, man wird uns lächerlich machen. Ich kann Ihnen sagen, daß man im Kreml so sauer ist, als habe man Essig in den Adern. Und Sie stehen hier auf der Terrasse und singen Rheinlieder.«
Das war maßlos übertrieben, aber Borokin verzichtete darauf, Oberst Jassenskij zu berichtigen. Er sagte vielmehr das, was jeder Russe in seiner Lage gefragt hätte: »Wann muß ich nach Moskau, Genosse?«
Jassenskij schielte zu ihm hoch. Er hielt nicht viel von sinnlosem Heldentum. »Zunächst müssen wir sehen, daß wir soviel wie möglich ausbügeln«, sagte er nachdenklich. »Wir stehen in einem Wettrennen mit der Zeit. Ich habe Ihre Berichte gelesen; sie sind Mist, Jurij Alexandrowitsch. Diese Sache mit dem Weibsstück Irene Brandes, sie mußte schiefgehen. Mutter hin – Mutter her: Wenn sich solch ein Täubchen richtig verliebt, ist der Mann wichtiger als das Mütterchen. Das hätten Sie wissen müssen.«
»Irene Brandes tat alles für ihre Mutter«, antwortete Borokin mit rostiger Stimme. »Seit zwei Jahren war sie unsere beste Schlepperin. Sie hat uns bisher sechs Agenten gebracht.«
»Aber dieser Oberleutnant ist etwas anderes. Borokin, ein Weib arbeitet mit dem Herzen! Doch was hilft's? Wir klagen uns nur an, und es geschieht nichts.«
»Und was soll geschehen, Genosse Oberst?«
»Am meisten drückt mich der dumme Sarg in Hamburg.«
»Das dürfte die blamabelste Geschichte werden, die in den letzten Jahren passiert ist.«
»Und deshalb muß Ihnen etwas einfallen, Jurij Alexandrowitsch.« Oberst Jassenskij erhob sich aus seinem Korbsessel und trat in den Schatten des schloßähnlichen Hauses der Botschaft zurück. »Mit dem Oberleutnant werde ich selbst einmal sprechen. Vermitteln Sie einen Treff. Wo findet er sonst statt?«
»Am Rheinufer bei Köln oder in einem Waldstück des Stadtwaldes.«
»Also: Treff für morgen! Und kümmern Sie sich um den Sarg!« Das war keine normale Unterhaltung mehr, sondern ein Befehl. Borokin verstand, nickte stumm und wußte, daß seine schöne Zeit am Rhein vorüber war. »Und packen Sie vorsorglich!« Jassenskij sah an Borokin vorbei auf die Insel Nonnenwerth. Das kleine Glöcklein im Turm des Klosters begann zu bimmeln. »Es kann sein, daß wir schnell wieder zurück nach Rußland müssen.«
»Es wird alles vorbereitet, Safon Kusmajewitsch«, sagte Borokin dumpf.
Ein eigenartiges Gefühl ist es, Freunde, plötzlich zu wissen, daß man ein Nichts geworden ist.
*
Bis heute weiß man noch keine Erklärung dafür, wie es möglich war, daß aus der verschlossenen Leichenhalle des Hamburger Nordfriedhofes ein plombierter und verlöteter Zinksarg über Nacht verschwinden konnte. Kein Fenster war zertrümmert, kein Schloß aufgebrochen, keine Wand eingestemmt. Die merkwürdigen Diebe mußten mit einem Nachschlüssel gearbeitet haben, unauffällig und fachmännisch. Sogar einen Leichenwagen hatten sie bei sich. Die Radspuren waren deutlich im sandigen Boden zu erkennen.
Daß der schmucklose Zinksarg, der in einer Ecke stand, überhaupt fehlte, merkte man erst dann, als eine Kommission der Hamburger Staatsanwaltschaft eintraf, um den Sarg zu beschlagnahmen und öffnen zu lassen.
»Völliges Stillschweigen!« sagte der Leitende Erste Staatsanwalt, als man ihm meldete, daß jemand den Sarg gestohlen habe. »Das ist eine
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