Begegnung in Tiflis
heißen, daß Bettina dieses Mannes wegen illegal in Tiflis bleibt und sich als tot melden läßt?«
»Wer kann darauf eine Antwort geben?« sagte Andresen.
»So etwas tut Betti nicht.« Agnes Wolter sah auf das Foto, das auf der Kommode stand. Bettina in Stewardeß-Uniform. Die letzte Aufnahme. »Sie hat sich noch nie vergessen.«
»Auf jeden Fall wird das Rätsel immer größer.« Wolfgang Wolter ging in dem Zimmer hin und her. Er wußte keine Antwort auf die vielen Fragen, die in ihm wuchsen. »Sie lebt! Sie ist mit einem Mann glücklich. Sie macht keinerlei Anstalten, Tiflis zu verlassen, sondern verbirgt sich … ich nehme an, bei diesem Mann. Das sieht alles nicht nach Bettina aus. Ein Mensch kann sich doch nicht so wandeln.«
»Ich habe nur das berichtet, was ich gesehen habe«, sagte Paul Andresen leise. »Seit drei Jahren fliege ich mit Betti, ich kenne Betti sehr genau. Ich weiß auch keine Erklärung dafür.«
»Seien wir glücklich, daß sie lebt und gesund ist.« Wolfgang Wolter legte seine Hand tröstend auf die weißen Haare seiner Mutter. Er spürte, wie sie innerlich zitterte, aber sie hatte die ungeheure Kraft, nicht zu weinen und wie versteinert dazusitzen. »Und warten wir ab, was uns die nächsten Tage oder Wochen bringen. Mehr als abzuwarten, bleibt uns ja nicht übrig.«
*
An einem Montag traf Oberst Jassenskij in Rolandseck ein.
Borokin begrüßte ihn mit saurer Miene, denn er wußte, was der Besuch des Obersten bedeutete.
»Willkommen am Rhein, Safon Kusmajewitsch«, sagte er sarkastisch. »Sie werden von dem Blick auf den Drachenfels und Petersberg begeistert sein. Und mit einem Fernrohr können Sie Konrad Adenauer direkt auf der Terrasse seiner Villa in Rhöndorf erblicken. Das ist bei dem Genossen Kossygin nicht möglich.«
Oberst Jassenskij war in keinerlei Stimmung, auf solche Reden einzugehen. Er war bedrückt. Der Chef des GRU in Moskau hatte ihn einen Versager genannt. Nur wer in Rußland lebt, weiß, was das bedeutet, und nur, wer schon einmal eine Uniform getragen hat, kann ermessen, was ein bedrückter Vorgesetzter bedeutet.
Für Borokin begann eine schwere Zeit.
Zunächst erfuhr er, daß Bettina Wolter Rußland verlassen hatte. Zusammen mit einem Kolka Iwanowitsch Kabanow und dessen Ziehsohn Dimitri Sotowskij. Noch wußte man nicht den genauen Weg, aber Meldungen vom Kaspischen Meer ließen ahnen, daß sie mit einem Fischerboot zur iranischen Küste gefahren waren.
»Pfui!« sagte Borokin voll vaterländischer Verachtung. »Ein Ingenieur des Ölkombinats! Welche Verworfenheit!«
Oberst Jassenskij sah Borokin mitleidig an. »Reden wir nicht um den heißen Brei herum, Jurij Alexandrowitsch. Die Lage ist fatal.« Jassenskij setzte sich in einen Korbstuhl auf der Terrasse und blickte über den in der Sonne leuchtenden Rhein, der hier wie silbern, aber nicht, wie er ist, lehmig-dreckig aussah. Aber er nahm das gar nicht wahr. Nicht das berühmte Panorama vom Drachenfels und Petersberg, Bad Honnef und der Insel Nonnenwerth. Nicht die weißen Schiffe auf dem Strom und die Zinnen der im Hochwald eingebetteten Drachenburg. Ein Mensch, der ertrinkt, lobt nicht das kühle, erfrischende Wasser.
»Was haben wir bisher erreicht?« sagte er, und Borokin wußte genau, wie die Antwort ausfiel. »Solange das Mädchen als verschollen galt, hatten wir alle Trümpfe in der Hand, über ihren Bruder etwas zu erfahren. Sie, Jurij Alexandrowitsch, hatten allein die Karten zwischen den Fingern. Was haben Sie daraus gemacht? Ein paar Meldungen über versteckte Radiostationen an der Zonengrenze, die noch gar nicht arbeiten und von denen wir nicht wissen, ob sie wirklich bestehen. Nennen wir es beim Namen: Sie haben Windeier gelegt!«
Borokin sah hinunter an den Rhein. Trotz der schwülen Sommerhitze war es kalt in ihm. Die Gnadenlosigkeit Moskaus wehte ihn an.
»Man kann in ein paar Wochen nicht alles das erfahren, was verlangt wird«, sagte er etwas heiser. »Genausogut könnte ich fragen: Warum hatte man keine Möglichkeit, Bettina Wolter in Grusinien festzuhalten? Warum konnte sie überhaupt die Sowjetunion verlassen? Noch vier Wochen, und wir wären weiter als heute gewesen.«
»Es hat keinen Sinn, zu denken, was wäre, Jurij Alexandrowitsch.« Oberst Jassenskij fächelte durch die stehende Luft. In Moskau begannen jetzt schon wieder die kühlen Tage. Aber so ist das, dachte Jassenskij. Sie verweichlichen hier im Westen, die Genossen. Wärme, Sorglosigkeit, weit weg vom Kreml, Weiber,
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