Begegnung in Tiflis
»Guten Tag, mein lieber Herr Wolter!« begrüßte.
Das machte Karl Wolter stutzig. Freundlichkeit ist etwas charakterlich Wertvolles, weil sie so schwer zu halten ist – aber dieser trompetende Ton, als empfange man einen berühmten Fußballspieler, machte ihn vorsichtig.
»Ich suche meinen Sohn«, sagte er deshalb kühl. »Oberleutnant …«
»Ich weiß, ich weiß. Wird bereits verständigt und ist auf dem Weg hierher. Befindet sich gerade zu einer Besprechung beim General. Nehmen Sie doch Platz, bitte. Eine Zigarre? Ein Kognak? Eine Tasse Kaffee?« Der Major setzte sich auf den Rand des Schreibtisches und sah auf Wolter hinunter, der sich zögernd auf einen der Stühle gesetzt hatte. »Sie waren bis vor vier Wochen noch in Rußland?« fragte er.
Karl Wolter nickte. Aha, dachte er. Der warme Wind soll das Eis auftauen. Ganz sanft wird man verhört, ohne es zu merken, wenn man ein Dussel ist. Ein kleines Gespräch über Rußland, völlig harmlos. Freunde, hält man Kolka Iwanowitsch für einen Idioten?
»Zwanzig Jahre lang?« fragte der Major freundlich. »Mein Gott, welch eine lange Zeit …«
»Zweihundertvierzig Monate«, sagte Wolter gleichgültig.
»Da haben Sie viel gesehen, was?«
»Ja. Bau von Stauwerken, Ausbau einer Raketenstation. An einer unterirdischen Ölraffinerie habe ich selbst geholfen, als Maurer. Und die Truppenübungsplätze, enorm!« Karl Wolter sah auf seine Hände. Unmöglich wäre es ihm, jetzt den Major anzusehen. Dieser hatte rote Backen bekommen und einen flammenden Blick.
»Interessant! Interessant! Gehen wir mal zur Karte. Man kann sich das nur auf einer Karte vorstellen. Wenn Sie mir einmal zeigen, wo man das alles gebaut hat …«
»Nein!« sagte Wolter hart.
Der Major, schon auf dem Weg zu einer großen Wandkarte, blieb ruckartig stehen. Seine Schuhsohlen knirschten, so abrupt bremste er seinen Schritt.
»Was heißt nein?«
»Nein heißt nein oder njet oder non oder no, wie Sie wollen.«
»Mein Herr …«
»Wolter. Karl Wolter. Vor zehn Minuten konnten Sie meinen Namen noch geläufig aussprechen.«
»Sie sprechen mit einem Offizier!« rief der Major empört. »Sie haben mir eben erzählt, daß Sie mitgewirkt haben am Bau sowjetischer Militärbasen, und wenn ich Sie nun bitte, mir an der Karte …«
»Wozu?« Wolter sah den wütenden Offizier treuherzig an. »Was wollen Sie damit?«
»Im Falle eines Krieges …«
»Wollen Sie Krieg? Hoffen Sie auf einen Krieg?«
Der Major versteinerte und ging um seinen Schreibtisch herum. Dort setzte er sich, drückte auf eine Sprechtaste und brüllte in das Mikrofon: »Oberleutnant Wolter! Wo bleibt er denn?«
Keine zwei Minuten dauerte es, und Wolfgang Wolter trat ein. Er war nicht überrascht; schon im Nebenzimmer hatte man ihm etwas Unschönes gesagt. Dort saß ein Hauptmann vor einem Tonbandgerät und hatte alles aufgenommen, was Wolter nebenan gesprochen hatte. »Sagen Sie mal«, sagte der Hauptmann zu Wolfgang Wolter, »Ihr Vater ist wohl ein wenig schwach möbliert im Kopf? Der gibt dem Herrn Major vielleicht Antworten! Wie Rotz am Ärmel benimmt er sich. Das wird für Sie noch ein Nachspiel haben.«
»Gehen wir in die Kantine, Vater«, sagte Wolfgang, als er seinen Vater begrüßt hatte. »Sie erlauben doch, Herr Major?«
»Aber ja. Nehmen Sie ihn mit!« sagte der Major abgehackt.
»Wolter. Karl Wolter.« Kolka – denn das war er jetzt wieder – drehte sich herum. »Ein höflicher Mensch redet den anderen immer mit seinem Namen an! Das weiß ich als einfacher Feldwebel, befördert vor dem Feind bei Minsk. Sollte ein neuer deutscher Major das nicht mehr wissen …?«
»Vater!« Wolfgang schob Karl Wolter aus dem kleinen Zimmer und schloß die Tür. Auf dem Flur löste sich die starre Miene Wolters; er lächelte sogar. »Du hast dich wieder unmöglich benommen.«
»Wer war denn der Knabe?«
»Major Hennrichs vom MAD. Eine Kapazität.«
»Kommt sich vor wie ein kleiner Gott in seiner Uniform, was?«
»Du hast eine falsche Einstellung zur Uniform, Vater.«
»Ich habe schon eine getragen, da habt ihr noch in die Windeln geschissen.«
Karl Wolter strich sich über die stoppeligen weißen Haare. Seine Stimme war laut, und Wolfgang begann, sich zu schämen.
»Komm, gehen wir in die Kantine, Vater«, sagte er schnell. »Ich habe nur eine halbe Stunde Urlaub für dieses Gespräch. Wir leben ja nach Dienstplänen.«
»In die Windeln geschissen!« brüllte Wolter. »Himmel, wie mich das alles anwidert! Keine Luft
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