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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Robespierre zugejubelt? Welch eine Dummheit!
    »Morgen früh um sieben Uhr erwarten wir Sie hier«, sagte der Botschaftsrat, ohne weiter auf das klare Ja Dimitris einzugehen. »Haben Sie viel Gepäck?«
    »Nur das was ich am Körper trage. Und eine Aktentasche mit Kleinigkeiten.«
    »Die Rechnung Ihrer Pension in Remagen lassen Sie bitte zu uns schicken.« Dimitri erhob sich. Der Schritt in eine andere Welt war getan, und er war so nüchtern, als wenn man eine Tür öffnet und in ein anderes Zimmer geht.
    »Ich danke Ihnen«, sagte er, und seine Stimme war plötzlich belegt vor innerer Erschütterung. Paris – Marseille – Algerien … es gab kein Zurück mehr. Die Welt des Dimitri Sotowskij würde die glühende Sahara werden. In ihrem gelben, heißen Sand würde er die Liebe zu Bettina begraben. Ein Grab, auf dem nicht einmal eine Blume wachsen konnte.
    Die Fahrt nach Paris verlief ohne Zwischenfälle. Der Diplomatenwagen wurde nicht kontrolliert und fuhr unbehindert über die Grenze. In Paris wohnte Dimitri in einem Gästehaus der Ölfirma. Er sah nicht viel von der schönen Stadt, denn immer neue Herren fragten ihn aus und testeten sein Wissen. Und dann erlebte Dimitri eine große Überraschung: Am dritten Tag in Paris wurde er in ein Büro geführt. Dort saß ein dicker Mensch hinter einem breiten Schreibtisch, rauchte eine Papirossa und begrüßte Dimitri auf russisch: »Guten Tag, Kamerad. Steht das alte Nonnenkloster Samtawro in Mtscheta noch?«
    »Ein Mensch aus Tbilisi …«, stammelte Dimitri. Ob er es wollte oder nicht … Tränen kamen in seine Augen, und sie brannten, als seien sie aus Säure. »Ist das schön.«
    Es zeigte sich, daß Valeri Mironowitsch Lepka schon seit zwanzig Jahren in Frankreich war, in Tiflis studiert und in der gleichen Abteilung gearbeitet hatte, die Dimitri einmal als Chefingenieur hatte übernehmen sollen. Einen ganzen Tag sprachen sie miteinander. Dimitri erzählte von dem neuen Grusinien, und Lepka bekam weite Augen, wie alle Russen sie bekommen, wenn jemand von ihrer Heimat erzählt. Augen, in denen die Weite Rußlands liegt.
    »Es ist so gut wie sicher, daß du nach Algerien kommst«, sagte Lepka nach vielen Stunden russischer Erinnerung. »Aber glaube nicht, das ist ein Zuckerlecken, Freundchen. In Tiflis haben wir dagegen wie die Fürsten gelebt. Die Sahara ist das feindlichste Land, das die Erde kennt … aber, das ist ein Wunder: Wer sie einmal lieben gelernt hat, bleibt bei ihr, als ersticke er woanders. Überlege es dir, Dimitri Sergejewitsch. Wir könnten für dich auch eine Stellung in Marseille finden. Oder an der algerischen Küste, bei den Tanks und Pumpen.«
    »Ich will in die Wüste, Valeri Mironowitsch«, sagte Dimitri fest. »Ich will mich vergraben.«
    »Es gibt mehr schöne Mädchen als diese Bettina!« rief Lepka. »Sei kein Idiot, Dimitri! Wir gehen heute abend aus, und ich bringe dir ein Mädchen, das in dir die Erinnerung an diese Deutsche vertreibt.«
    Dimitri schüttelte den Kopf. »Es gibt nur eine Bettina, Valeri Mironowitsch. Laß sie mir im Herzen … es lebt sich leichter damit als mit einer Leere, in die nur ab und zu eine Stimme klingt.«
    Und dann war Dimitri eines Tages in Marseille. Zehn Tage waren seit seiner Flucht aus Göttingen vergangen, auf dem Kalender war es ganz deutlich zu lesen. Unbegreiflich.
    Zehn Tage. Wie ein Wind waren sie an ihm vorbeigeweht. Ihm war, als sei er erst vor ein paar Stunden aus dem Haus geschlichen und durch die sonntagsstillen Straßen Göttingens gerannt. Zehn Tage. Und nicht ein einziges Wort an Bettina.
    In dem kleinen Zimmer des Hotels, in das man Dimitri bis zur Abfahrt des Schiffes nach Algier gebracht hatte – ein billiges Hotel, in dem es vom Keller bis zum Dachboden nach der Bouillabaisse, der Fischsuppe mit Knoblauch und Gewürzen, roch, auf die Marseille so stolz ist –, schrieb er seinen ersten und letzten Brief an Bettina. Er schrieb ihn russisch, denn was er zu sagen hatte, konnte er in deutscher Sprache nicht ausdrücken.
    »Mein Stern,
    ich lebe, aber das ist auch alles. Ich lebe mit einem zerrissenen Herzen, und ich lebe nur, weil die Erinnerung an Dich da ist, das Letzte, was ich von Dir habe, und das doch so schön ist, daß es für mein ganzes Leben reicht.
    Leb wohl, mein Stern. Wie schön wäre es gewesen, wenn wir nur Menschen hätten sein können. So aber sind wir Russen und Deutsche und hundert andere Nationen, und es kommt nicht darauf an, daß jeder von uns ein Herz hat, sondern

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