Begegnung in Tiflis
einem zufriedenen Schweinchen.
»Sagte ich es nicht, Fjodor Nikolajewitsch?« rief er und breitete seine Papiere vor Oronitse aus. »Ein dicker Fisch hat sich selbst ausgesetzt. Aber ich fange ihn, bei Lenins Bart, ich fange ihn.«
»Lassen Sie Lenin schlafen«, sagte General Oronitse und sah über die Papiere. »Was macht Sie so fröhlich, Brüderchen?«
»Die erste Information unserer Botschaft in Rolandseck! Lesen Sie, Genosse. Bettina Wolter, Tochter eines in sowjetischer Gefangenschaft gestorbenen Feldwebels. Ihr Bruder ist Oberleutnant der Bundeswehr bei der Abteilung ›Fremde Heere Ost‹. Na, sagt das nicht alles? Und wie gründlich sie gearbeitet haben, die Genossen in Bonn. In ein paar Stunden haben sie alles herausbekommen. Nun, Ihre Meinung, Genosse General.«
»Gratuliere, Safon Kusmajewitsch.« Oronitse überlas die Funkmeldungen aus Deutschland und von der GRU-Zentrale in Moskau. Sie ließen keinen Zweifel mehr zu: Diese Bettina Wolter hatte sich abgesetzt, um einen Auftrag zu erfüllen. War auch der Absturz über Tiflis gewollt?
Oronitse sah Jassenskij groß an. Der Oberst nickte mit glänzenden Augen.
»Genau das denke ich auch«, sagte er. »Ich lese die Frage in Ihren Augen, Fjodor Nikolajewitsch. Ein Blitzschlag im Flugzeug. Das kommt in unserem Jahrhundert einmal oder zweimal vor. Sie müssen uns für armselige Bettnässer halten, die Kapitalisten. Alles, vom Blitz bis zum Absturz, war geplant. Überlegen Sie, Genosse General … alle sind schwer verletzt oder tot, nur sie lebt weiter wie ein munteres Vögelchen im Frühling. Das sieht ein Blinder, Genosse. Und wir haben scharfe Augen.«
»Ihre Logik ist zwingend, Safon Kusmajewitsch.« General Oronitse erhob sich seufzend. »Ich werde sofort Miliz und Militär alarmieren für eine Suchaktion.«
»Sie sind es bereits. Moskau hat befohlen.« Oberst Jassenskij lächelte selbstzufrieden. Die Macht der GRU war wieder spürbar. »Vier Bataillone sind im Einsatz. Gegen ein einziges Mädchen. Keinerlei Chancen hat sie, Genosse. Wir brauchen nur zu warten, bis man sie uns bringt.«
*
Es sah alles wie eine harmlose Übung aus. Die großen Mannschaftswagen fuhren zum Flugplatz. Miliz und Rotarmisten formierten sich zu vorher genau festgelegten Gruppen und schwärmten sternförmig von den noch immer qualmenden Flugzeugtrümmern aus. Ein fahrendes Kommando aus zwanzig Jeeps kontrollierte alle Häuser und die zu den Bergen hin verstreut liegenden Höfe der Weinbauern und Seidenraupenzüchter, und es kam zu bösen Begegnungen zwischen den Soldaten und den Bauern, die um diese Zeit schon im Bett lagen und von der Seite ihrer Weibchen getrommelt wurden.
»Was wollt ihr, Genossen?« schrie man. »Ein Mädchen sollen wir versteckt haben? Ein deutsches auch noch? Bei meiner Seele, das ist eine Frechheit! Sind wir nicht gute Kommunisten, he? Melden würden wir es sofort, wenn so etwas bei uns auftaucht! Welches Mißtrauen, Brüder!«
Die Straßen in die Berge wurden gesperrt. Jeder Wagen, selbst der dreckigste Eselskarren, wurde kontrolliert. Man mußte Säcke, Kisten und Kästen auf die Straße werfen, und alles Haareraufen nutzte nichts … erst, wenn die Wagen leer waren, sagten die Rotarmisten: »Kann passieren!« und machten plötzlich ein gelangweiltes Gesicht.
Über die einsamen Felspfade des Kaukasus kletterten die Gebirgstruppen und suchten in den Höhlen und zerklüfteten Schluchten. Die Grenzstationen erhielten strenge Anweisungen. Hier stauten sich bald die Wagen, und selbst eine Kamelkarawane, die von Leninakan nach Kars in der Türkei ziehen wollte, mußte auf freiem Feld übernachten, weil die sowjetischen Grenzbeamten jeden gerollten Teppich aufrollen ließen. Gibt es ein besseres Versteck als einen Teppich, Freunde? Erinnern wir uns an Kleopatra. Auch sie ließ sich in einen Teppich gerollt zu Caesar bringen, und das Unglück begann für Rom.
General Oronitse hielt wenig von dieser Suche. Aber er sagte es Oberst Jassenskij nicht. Er hat's angeordnet, dachte er hämisch. Er wird's auch ertragen, wenn die Suche erfolglos ist. In Moskau ist man da kleinlich; Blamagen drücken mehr als Hühneraugen, auf die man mit einem Stiefel tritt.
»Ich habe eine Nachricht von Professor Semlakow hier«, sagte Oronitse gegen 22 Uhr zu Oberst Jassenskij. »Alle Überlebenden sind jetzt so weit außer Gefahr, daß sie Aussagen machen können. Sollten wir uns nicht anhören, was sie über diese Bettina Wolter sagen? Es könnte möglich sein, daß
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