Begegnung in Tiflis
ich spare. Eine kleine Datscha will ich mir eines Tages kaufen, draußen in den grusinischen Bergen, wo noch die Luchse leben und die braunschwarzen Bären. Ich jage gern, ein guter Schütze bin ich, und wenn ein Braten überm offenen Feuer hängt, glänzend im eigenen Fett …« Er wischte sich mit zitternden Händen über das schöne schmale Gesicht. »Wanduscha!« sagte er heiser. »Warum willst du nicht bei uns bleiben? Bin ich ein Ekel? Stinke ich nach Aussatz? Ist mein Anblick so, daß man Brechreiz bekommt? Oder liebst du schon einen anderen?«
»Du bist ein so lieber, guter Mensch, Dimitri Sergejewitsch«, sagte Bettina leise und ergriff seine Hände. »Und weil du es bist, sollten wir nur Freunde sein. Es gäbe zu große Komplikationen.«
»Mit deinem Paß?« Über das Gesicht Dimitris glitt ein freudiger Schimmer. »Keine Sorge, Wanduscha! Wassilij Iwanowitsch Tschigirin, dein Onkelchen, wird das regeln. Ein einflußreicher Mann ist er in Grusinien. Mitglied der Volkskammer. Ein Wort von ihm, und man wird dir einen neuen Ausweis ausstellen.«
»Gewiß, gewiß.« Bettina nickte. Tschigirin, dachte sie. O armer Dimitri, wenn du wüßtest, daß ich eine Deutsche bin … »Laß uns zurück zu Väterchen Kolka fahren.«
Dimitri sah sie an. Seine schwarzen Augen bettelten wie die eines Hundes. Hilflos war er, obzwar in ihm ein Vulkan tobte.
»Mir wird die Sonne nie mehr so hell scheinen, wenn du weggehst«, sagte er leise. »Ewiger Winter wird um mich sein, und ich werde frieren vor Kummer.«
»Komm!« Sie ergriff seine schlaffe Hand und zog ihn aus dem Mandarinenhain. Auf dem schmalen Feldweg, der hinunter zur Straße an der Kura führte, wo Dimitris kleiner braunlackierter Jeep stand, verhielt sie den Schritt, wandte sich um und schlang die Arme um seinen Hals.
»Ich liebe dich doch auch!« schrie sie, und es war wilde Verzweiflung in ihrer Stimme. »O Himmel, wie liebe ich dich! Aber wir werden daran zugrunde gehen, glaube es mir, Dimitri. Wir werden elend daran zugrunde gehen. O Dimitri, unser Schicksal ist so gemein, so gemein, so verdammt gemein!«
So standen sie eine ganze Zeit in der pfirsichfarbenen Abendsonne, küßten sich, beklagten ihr Schicksal und spürten, wie sie innerlich von Kuß zu Kuß mehr zusammenwuchsen, bis es keine Trennung mehr geben würde.
Es war schon Nacht, als sie endlich wieder in Tiflis waren und schon auf der Straße Kolkas Abendessen rochen: Bratkartoffeln und saurer Kohl.
»Wir werden heiraten, Väterchen!« schrie Dimitri schon auf der Treppe, als er Kolka oben in der Tür stehen sah. »Eine Hochzeit wird es geben, und du kannst herumlaufen und allen erzählen: Ich habe den glücklichsten Sohn, Leute! Beglückwünscht mich, Bürger, niemand hat ein so schönes Töchterchen wie Kolka Iwanowitsch.«
»Gott segne euch«, sagte der alte Kolka und legte seine faltige Hand auf die kurzen blonden Haare Bettinas. Noch auf der Treppe war es, und es war, als segne ein Patriarch seine Sippe. »So bekomme ich doch wieder eine Tochter.«
Dimitri starrte seinen Stiefvater groß an. Zum erstenmal wehte ein Hauch aus dem Dunkel von Kolkas Vergangenheit.
»Du hattest eine Tochter, Väterchen?« fragte er.
»Ja.«
»Und wo ist sie?«
»Sie starb«, antwortete Kolka hart und knapp. »Kommt herein, Kinder, die Kartoffeln werden schwarz. Ich habe sie mit Zwiebeln gebacken. Und einen Wein gibt's, einen Zinandali – als hätte ich es geahnt, welch feierlicher Abend es noch wird.«
Und dann, spät in der Nacht, war Bettina allein und stand am Fenster in Dimitris Zimmer. Bis hinüber zu den armenischen Bergen konnte sie sehen, hinter denen die türkische Grenze lag, das nahe und doch so unendlich weite Ziel.
War es wirklich noch ihr Ziel?
Sie lehnte die Stirn gegen den Fensterrahmen und schloß die Augen. Die Nacht war noch kühl, und über der Altstadt lag wie eine unsichtbare Wolke der Geruch von Öl, Gewürzen und trocknendem Harz.
In Göttingen wartet Mutter auf mich, dachte sie.
In Bonn macht sich Wolfgang Sorgen.
Sie werden denken, ich sei verbrannt … ein unkenntlicher Klumpen inmitten der ausgeglühten Flugzeugtrümmer.
Und sie werden weinen, und Mutter wird allein, klein und verhärmt in ihrem Stübchen hinter dem Wäscheladen sitzen, hinausstarren in den kleinen Hinterhof und nicht begreifen, warum das Schicksal sie so hart bestrafte.
Zuerst der Mann, und jetzt die Tochter, und beide Male war es Rußland. Hassen würde sie dieses Land. Hassen mit der ganzen Glut
Weitere Kostenlose Bücher