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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ölkombinats, wo sich Dimitri einen Tag Urlaub holte, was gar nicht so einfach war, denn er mußte dafür vier Fragebogen ausfüllen und genau zwölf Beamte belästigen, bis er den einen Tag bewilligt bekam.
    »Wo wollen wir hin, Täubchen?« rief Dimitri lustig, als er endlich wieder auf der sonnenheißen Straße stand. »Die ganze Welt möchte ich dir zeigen, aber dazu ist ein Tag zu wenig.«
    »Ich kenne Tiflis nicht. Führ mich hin, wo es schön ist und ich alles vergessen kann«, sagte Bettina. Und es war nicht so dahergeredet, sondern sie meinte es ehrlich. Vergessen, dachte sie. Und wenn es nur für einen Tag ist. Vergessen, daß ich aus den brennenden Trümmern kroch. Vergessen die Angst, in Rußland zu sein. Vergessen, was noch vor mir liegt: der lange Weg in die Freiheit. Und vor allem vergessen, daß ich sie verlassen muß … den guten, alten, mißtrauischen Kolka, dessen Blick so merkwürdig vertraut ist; und Dimitri, den großen, fröhlichen Jungen, der es wert wäre, geliebt zu werden.
    Vergessen. Für einen Tag. Wer weiß, was morgen ist?
    »In ein Museum könnten wir gehen«, sagte Dimitri und legte den Arm um Bettinas Schulter. »Ins Grusinische Museum der Schönen Künste? Oder ins Lenin-Museum? Wir könnten auch zum Botanischen Garten und in den Wald von Chudiakov fahren. Oder zum Urdschi Monasteri, dem blauen Kloster?«
    »Ich weiß es nicht.« Bettina lehnte den Kopf gegen seine Schulter, und alle, die es sahen auf der Straße, beneideten Dimitri darum und lächelten ihn an und kniffen ein Auge zu.
    Viel Glück, Brüderchen. Frühling ist's. Und Februar wird's sein, wenn das Kindchen kommt. Vergiß nicht, eine Lammfelldecke zu kaufen. Rauhe Winde sind im Februar. Haha!
    »Nein«, rief Dimitri plötzlich. »Ich weiß etwas Besseres. Wir fahren hinaus nach Mtscheta. Über die alte Heerstraße. Dreitausend Jahre alt ist die Stadt. Und in ihr ist die Sweti-Tschoweli-Kathedrale, die Kirche des ›Lebensbaumes‹ oder der zwölf Apostel. Wo die Kirche jetzt steht, so sagt man, fand man das Gewand Jesu Christi.«
    Und so taten sie es auch. Mit Dimitris Jeep fuhren sie durch einen blühenden Garten, am Ufer der Kura entlang, sie gingen durch die prunkvollen Gewölbe der Kathedrale und standen vor den Särgen früherer georgischer Könige aus der Dynastie der Bagrationiden, aber wie unwichtig war das alles. Sie waren endlich allein, sie gingen Hand in Hand durch die Sonne und durch die Weinberge, saßen im hohen Gras und blickten über den Fluß, die uralte Stadt und die fernen Marmorbrüche, und als die Sonne gegen Abend pfirsichfarben wurde, standen sie zwischen Mandarinen- und Zitronenbäumen und sahen sich tief in die Augen.
    »Bleib bei uns, Wanda Fjodorowa«, sagte Dimitri, und wahrhaftig, seine Stimme zitterte dabei.
    »Es wird nicht gehen, Dimitri Sergejewitsch.«
    »Bleib für immer bei uns. Väterchen wird alt, und er hatte immer Sehnsucht nach einem Töchterchen. Und auch ich, Wanda Fjodorowa, ich …« Er stockte, kratzte sich den Kopf und war sehr verlegen. Schwer ist's, so einfach auszusprechen, was man fühlt. Bei den anderen Mädchen, bei Marina oder Sussja etwa, war das anders gewesen. Die wußten, was sie wollten, und sie warteten nicht, bis man es ihnen sagte, wie man dachte. Das waren nette Augenblicke, aber nie hätte Dimitri sie gefragt, was ihm jetzt auf der Zunge lag und so schwer auszusprechen war.
    »Du liebst mich, Dimitri?« sagte Bettina in sein Zögern hinein.
    »Ja, Wanduscha, ja.«
    Nun war es heraus. Ganz klar. Und das Herz schlug freier, wie von einem zwängenden Panzer befreit.
    »Du weißt nicht, wer ich bin«, sagte Bettina und senkte den Kopf.
    »Ich sehe, wie du bist. Was geht mich Dunja an, dein Stiefmütterchen? Was kümmert es mich, woher du kommst? Es wird unser Leben sein, das wir leben müssen, nicht das der anderen. Geben sie uns einen Rubel, wenn wir Unglück haben? Im Gegenteil, neidisch werden sie sein, wenn wir glücklich sind. Was kümmert uns das alles. Du bist da, und ich bin da – was wollen wir noch mehr vom Leben?«
    Bettina schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Schlaff fielen die Arme an Dimitris Seite herunter. Wie mit Wasser übergossen sah er aus, und trotz seiner braunen, sonnengegerbten Haut erkannte man, daß er in Wahrheit bleich war vor innerer Erschütterung.
    »Ich bin nicht reich«, sagte er leise. »Neunhundert Rubel verdiene ich. Werde ich Oberingenieur, vielleicht in fünf Jahren, bekomme ich zwölfhundert Rubel. Aber

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