Begegnung in Tiflis
die saure Sahnesoße für das Fleisch anzurühren.
Dimitri zögerte. Die alte, eingewurzelte Achtung vor dem Vater hielt ihn zurück, heftig zu werden. Aber dann griff er doch mit beiden Händen zu und drehte den soßerührenden Kolka herum.
»Was ist geschehen, Väterchen?« rief er. »Du veränderst dich, Wanda Fjodorowa soll am hellen Tag schlafen … was ist vorgefallen? Wo ist Wanda?«
»Nebenan, in meinem Zimmer. Mach die Tür auf und sieh sie dir an. Dein Täubchen ist unverletzt. Ein Rätsel ist's nur, daß sie einen Kindskopf wie dich liebt.«
»Hat sie zu dir gesagt, daß sie mich liebt?« Dimitris Augen glühten. »Erzähle, Väterchen! Was sagt sie über mich?«
»Sie weinte.«
»Vor Glück.«
»Aus Elend.«
Der Glanz in Dimitris Augen erlosch. Was Kolka sagte, war stets die Wahrheit gewesen, und wenn Wanda Fjodorowa weinte, so war das keine Lüge, sondern sie hatte großen Kummer.
»Ich muß zu ihr!« rief Dimitri. Aber Kolka hielt ihn am Ärmel fest: »Bleib! Laß sie schlafen, Söhnchen.«
»Sie hat geweint. Trösten muß ich sie, Väterchen.«
»Du bleibst!«
Kolka krallte die Finger in den Arm Dimitris, und dieser wunderte sich, wie stark noch die Kraft des Alten war. Kein Wehren gab's dagegen, es sei denn, man schlug zu – aber wer schlägt schon sein Väterchen? Eine ganz rohe Natur mußte man dazu schon sein.
»Geh zum Tisch und setz dich«, sagte Kolka Iwanowitsch, schob die Töpfe vom Herd und löschte die Gasflammen. Gehorsam setzte sich Dimitri, aber seine Augen funkelten. Er legte die Hände flach auf die Knie, wie ein japanischer Ringer, bevor er sich auf seinen Gegner stürzt.
»Ich sitze, Väterchen«, sagte er, als er Kolka noch herumwirtschaften sah. Er schob die Töpfe hin und her, putzte mit einem Lappen über das Emaille des Herdes, staubte ein paar Krümelchen weg und tat sehr geschäftig.
»Du wolltest etwas sagen?« fragte Dimitri, als der Alte noch immer schwieg.
»Ja, Söhnchen.« Kolka seufzte tief, warf den Aufwaschlappen gegen die Wand und kam mit tappenden Schritten näher. In seinen geliebten Korbsessel setzte er sich, stopfte sich eine Pfeife, sah auf die Tbilisi Prawda, die Dimitri auf den Tisch geworfen hatte, betrachtete stumm das Bild Bettinas in der Stewardeß-Uniform der DBOA und die große Unterschrift: Dringend gesucht wird … und seufzte noch einmal tief.
»Eine Geschichte muß ich dir erzählen, Dimitri Sergejewitsch«, sagte der alte Kolka umständlich. »Wie ein Märchen wird's klingen, das die usbekischen und aserbaidschanischen Erzähler auf den Märkten vortragen. Nur hat sie etwas Schreckliches an sich, die Geschichte: Sie ist wahr!«
»Erzähle, Väterchen«, sagte Dimitri heiser. »Ist es die Geschichte Wanda Fjodorowas? Wenn es eine böse Erzählung ist, dann hör dort auf, wo sie böse wird. Nicht wissen will ich's. Ich liebe Wanda, und es ist mir gleichgültig, woher sie stammt, wer sie ist, was sie getan hat, welches Konto sie in ihrem Leben aufgefüllt hat. Ganz gleich ist mir's. Ich liebe sie so, wie sie ist.«
»Und wenn sie schon ein Kindchen hätte?«
Dimitri sah Kolka unsicher an. »Ich liebe sie, Väterchen«, sagte er. »Auch mit einem Kind.«
»Wenn sie große Schuld auf sich geladen hätte?«
Dimitri hieb auf den Tisch. »Und wär's eine Mörderin – ich heirate sie!«
»So also liebst du sie, Söhnchen?«
»Sie ist mir die Sonne und der Wind, der Regen und die Nacht, der Himmel mit allen Wolken und Sternen, und die Erde mit ihrer ewigen Kraft. Sie ist alles für mich, Väterchen!«
Kolka nickte. »Das ist eine große Welt, die du verschenkst für sie, Dimitri. Spielen wir weiter. Und wenn sie weder ein Kindchen hätte, noch eine Mörderin wäre, sondern – na sagen wir keck – eine Deutsche?«
Dimitris Gesicht verschloß sich. »Was soll das, Väterchen?«
»Nur so, Söhnchen. Ich sehe gerade das Bild da. Da kam mir der Gedanke. Wenn Wanda Fjodorowa – nur als Beispiel – diese Deutsche wäre?«
»Es ist Dummheit, so etwas zu fragen.« Dimitri starrte zum Fenster. Die Mittagsglut lag über Tiflis wie eine gläserne Glocke. Eine riesige Backhaube war die Stadt, und die Sonne glühte auf sie herunter.
»Nur ein Spielchen, Dimitri. Angenommen nur …«
»Es würde alles ändern«, sagte er leise.
»Aha!«
»Mein Vater ist in Deutschland getötet worden. Wer kann das vergessen?«
»War's der Vater von Wanda Fjodorowa, der ihn tötete? Warum soll sie büßen, was geschah, als sie noch in der Wiege
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