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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dimitri, von dem man sagte, er könne Eisen fressen, ohne sich den Magen zu verderben.
    »Ich komme mit euch«, sagte er schluchzend. »Ja, ich komme mit. Ich werde mit euch Mütterchen Rußland verlassen, meine Heimat, das Grab meiner Mutter, die grusinischen Weinberge, die Sonne über den Apfelsinenhainen, die Wolken, die von Kasakstan kommen und aussehen wie wilde Reiter aus der Steppe … Ich liebe dich, Wanduscha. Wo du bist, wird alles sein, was ich verlasse.«
    So hockten sie, eng umschlungen und sich küssend und selige Worte stammelnd, auf dem Bett, und keiner wußte, wie lange es war. Erst als Kolka zaghaft an der Tür klopfte, lösten sie sich voneinander.
    »Ja, Väterchen?« rief Dimitri.
    »Das Essen, Kinder! Kalt wird's! Und dabei ist das Fleisch so weich wie ein Katzenfellchen. Und die Soße duftet, eine wahre Pracht ist's.«
    O Freunde, es wurde ein schöner Tag.
    Ist es nicht herrlich, noch einmal neu geboren zu werden und dabei ein erwachsener Mensch zu sein?

*
    Die Zeitungs-Aktion verlief sehr erfolgreich.
    Sie brachte größere Erfolge, als General Oronitse und Oberst Jassenskij vom GRU erwartet hatten. Um sieben Uhr morgens erschien die Tbilisi Prawda – bereits um acht Uhr telefonierten sieben Miliz-Wachen mit dem Hauptquartier. Drei geschlossene Jeeps waren unterwegs. In einem Haus in der Frunse-Straße erlitt ein Mann einen Tobsuchtsanfall und zerschlug Türen und Fenster und warf das Mobiliar auf die Straße, denn seine eigene Schwiegermutter hatte ihn angezeigt und dann eingesperrt.
    »Das ist schrecklich, Fjodor Nikolajewitsch«, stöhnte Oberst Jassenskij und wischte sich den Schweiß mit einem großen Taschentuch ab. »Das ist ja fürchterlich! Die Leute sind außer Rand und Band. Verrückt sind sie. Was sollen wir machen?«
    »Abwarten, Safon Kusmajewitsch«, sagte General Oronitse nicht ohne innere Freude. Blamagen anderer sind immer ein Anlaß seelischer Purzelbäume. »Vielleicht ist der richtige darunter.«
    Das war geschehen: Bis elf Uhr vormittags hatte man neun Männer mit einem ›Schweinchengesicht‹ eingefangen. Auch den Tobenden aus der Frunse-Straße, der auf dem Hauptquartier weiterschrie, seine Schwiegermutter Olga einen Teufelsdreck nannte und vergeblich versuchte, dem Kommissar vom Dienst zu erklären, daß er das Opfer einer Intrige sei, daß es um sein Geld gehe, daß die Schwiegermutter – der Satan möge sie schänden! – schon immer sein Feind gewesen sei … was half's? Nach dem Mittagessen – zu dieser Zeit saßen auch vierzehn heulende Mädchen und eine Frau mit einem Säugling, den sie vor allen Beamten stillte, im Gewahrsam – begannen Oronitse und Jassenskij die Verhafteten zu verhören.
    Es stellte sich schnell heraus, daß die Bildveröffentlichung nur Verwirrung, aber keinerlei Erfolge gebracht hatte. Von den ›Schweinchengesichtigen‹ blieben zwei übrig – der Mann aus der Frunse-Straße war darunter –, die keinen Beweis erbringen konnten, wo sie am Kirmestag gewesen waren. Von den Mädchen wurden alle wieder entlassen, zuallererst die stillende Frau.
    »Man soll es nicht für möglich halten!« schrie Oberst Jassenskij, als man sie ihm vorführte. »Habe ich es mit Paralytikern zu tun? Glaubt man, eine stillende Stewardeß fliegt durch die Luft? Weg mit ihr, ihr Schafsköpfe!« Die Milizionäre gingen beleidigt hinaus. Wie soll ein einfacher Polizist wissen, welche Sitten in deutschen Flugzeugen herrschen? Möglich ist doch alles im dekadenten Westen.
    »Zu Ihnen, Bürger«, sagte Jassenskij zu dem Mann aus der Frunse-Straße. Das Schwiegermutter-Opfer saß weinend an der Wand, hatte ein blaues linkes Auge, denn der Kommissar hatte es nicht geduldet, daß man auch seine Möbel zerschlug. Man muß ihm recht geben, Genossen. Wo käme man hin, wenn man Unrecht mit Gewalt vergilt?
    »Wo waren Sie am Kirmestag?« fragte Jassenskij.
    Und General Oronitse, nur um Jassenskij zu ärgern, fügte hinzu: »Schildern Sie uns Ihren Tagesablauf vom Aufstehen bis zum Zubettgehen.«
    »Wie soll ich das sagen?« Der Mann verdrehte die Augen. »Führe ich Buch über jeden Schritt? Muß ein ehrlicher Sowjetbürger jetzt immer ein Heft mit sich herumtragen und eintragen: Montag, 9.38, fünf Minuten auf dem Lokus. Zeuge: Tatjana Hallikowa, die Putzfrau. – Ist das die neue Freiheit, Genossen?«
    Oberst Jassenskij war wütend. Auf seinen Einfall mit dem Zeitungsbild, auf den Mißerfolg der Suche, auf General Oronitse, der als Militärbefehlshaber blütenweiß aus

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