Begegnung in Tiflis
einzelnem Grün, was wohl wilde Aprikosenbäume, Tamarisken und Wildkirschen waren.
Das alles sahen Kolka und Bettina nicht. Sie hingen bewußtlos in ihren Seilen, aufgeweicht wie ein Stück Brot, das ins Wasser gefallen ist, und die Bordwand des Bootes war tief in den flachen Wellen, denn halb voll hatte der Sturm es geschlagen, und es war keiner da, der das Wasser wieder ausschöpfte.
So sahen Fischer am Ufer das treibende Wrack, machten zwei kräftige Ruderkähne flott und ruderten auf das merkwürdige Gebilde zu.
Sie umkreisten es, sahen die beiden totenbleichen Gestalten an Bord, fuhren nahe heran und sprangen in das Boot. Seile flogen hin und her, eine Strickleiter verband das Geisterboot mit dem Kahn, und dann hatte man es fest und Zeit genug, sich zu wundern.
»Sie leben beide«, sagte der Fischer, der als erster an Bord gesprungen war. »Ohnmächtig sind sie. Der Sturm hat sie schön erwischt. Und die anderen sind von den Wellen weggespült. Verdammt, woher mögen sie kommen?«
Zunächst war es wichtig, das Boot soweit leer zu schöpfen, daß es im Schlepp der beiden Ruderboote mitglitt. Fünf Fischer holten mit Eimern das Wasser aus dem Boot, bis nur noch der Boden bedeckt war. Zwar lag Kolka noch immer mit den Füßen im Wasser, aber das beachtete man nicht, denn aufgeweicht war er sowieso.
Am Ufer erwarteten Frauen, Kinder und die anderen Fischer den Schleppzug. Das ganze Dorf war versammelt, und als man von den Kähnen an Land rief: »Wir haben zwei Ohnmächtige an Bord!« rannten zwei größere Jungen los und holten den alten Fedja aus seiner Hütte, den einzigen, der etwas von Heilkunde verstand, denn er war früher Sanitäter beim Militär gewesen.
Man muß das Leben in diesen einsamen Gegenden kennen, um zu verstehen, wie wichtig der alte Fedja war. Der nächste Arzt wohnte 57 Werst nördlich, und ehe er kam, auch wenn er guten Willens war und mit einem Jeep über die staubige Küstenstraße raste, war es oft schon zu spät, denn die Fischer riefen einen Arzt nur, wenn es aufs Letzte ging. Zwar gab es, ganz in der Nähe, noch einen anderen Arzt, 21 Werst südlich, an der persischen Grenze, einen Militärarzt der dort stationierten Schützenbrigade, aber den hatte man nur einmal geholt. Er war ein guter Arzt, gewiß, aber er trug eine Uniform, und wer das Dorf, in das Kolka und Bettina vom Sturm verschlagen wurden, genauer kennt, wird verstehen, daß eine Uniform das letzte ist, was die Fischer ertragen konnten.
So war Fedja der richtige Mann. Er kannte Aspirin und Tees, er scheute sich nicht, bei den Geburten die Weiber kräftig anzufassen und sie anzuschnauzen, wenn sie jammerten (was ungemein guttut, Freunde, denn eine gebärende Frau kann keine wehleidigen Gesichter ertragen!), kurzum: Fedja, der Alte, wurde geholt.
Unterdessen hatte man Kolka und Bettina aus dem Boot gehoben und trug sie in die Vorratshalle, wo die Netze trockneten und geflickt wurden, wo die Fische in großen Fässern gesalzen wurden, wo man Ruder ausbesserte und Reusen flocht. Eine große Hütte mit festem Strohdach, an deren Dachbalken die Schnüre mit Stockfisch hingen.
Je zwei Fischer trugen die schlaffen, aufgeweichten Körper in die Hütte und legten sie vorsichtig auf lange Kisten nieder, entkleideten sie und begannen, das Wasser aus ihren Brustkörben herauszupumpen. So traf sie der alte Fedja an, der mit einer Flasche Wodka und Riechsalz herankam. Zwei weiße Menschlein, denen das Meerwasser aus den Mündern rann und deren Körper zuckten unter den breiten Händen der kräftigen Fischer.
»Ein herrliches Weibchen!« sagte einer, der Bettinas Brustkorb drückte. »Eine wahre Freude ist's, da zu massieren.«
»Er bleibt ein Ferkel, der Wassilij«, rief ein älterer Mann, der sich um Kolka bemühte, ihn ohrfeigte, anrief und immer wieder schüttelte, »lös in ab, Fedja … in der Lunge hat sie Wasser, nicht in den Brustwarzen!«
»Sie werden gleich sagen, wer sie sind«, behauptete Fedja, drängte Wassilij, den Streichler, weg und hielt Bettina das Riechsalz unter die Nase. Dann holte er einen kleinen Löffel aus der Tasche, wischte ihn am Ärmel ab, goß ein wenig Wodka darauf, preßte mit den Fingern Bettinas verkrampfte Zähne auseinander, schüttete den Wodka in den Mund und ließ die Zähne wieder zuschnappen.
Bettina hustete. Ihr weißer zitternder Körper verkrampfte sich, sie rollte sich auf die Seite, die Arme bewegten sich, die Hände krallten sich an die Kiste, und dann übergab sie sich und der
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