Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
man nicht«, sagte Borokin ruhig. »Wie können Sie darauf eine Antwort erwarten. Ihre Mutter ist doch nicht allein im Zimmer. Sie lassen in der Logik, in der Einschätzung der Realität nach, Irenuschka.«
    »Mir geht es gut«, sagte die Frauenstimme in Eisenach. »Ich habe nie zu hungern brauchen. Sie waren alle höflich zu mir. Nur große Sorge hatte ich um dich, mein Liebling.«
    »Ich … ich bin glücklich, Mutti.« Irene nagte an den Lippen. Stark sein, sagte sie sich vor. Ganz stark sein. Nicht mehr weinen. Der erste Schock war vorüber. Nun heißt es, klar zu denken. Nicht aus purer Menschlichkeit hat Borokin dieses Gespräch vermittelt.
    »Ich habe mich verlobt, Mutter«, sagte sie gefaßt. »Mit einem wunderbaren Mann. Er ist Oberleutnant der Bundeswehr. Ich bin so glücklich, Mutti.«
    Borokin legte die Zigarette weg. Die Wandlung Irenes überraschte ihn. Er hatte gehofft, daß die Erschütterung so tief gehen würde, daß ein willenloses Bündel Mensch nach diesem Gespräch auf dem Stuhl hockte … eine Rohmasse, die er wieder zurechtkneten konnte, wie er es wollte. Statt dessen bekam sie einen harten, entschlossenen Blick, das Weinen erlosch nach einem kurzen, trockenen Schluchzen, als habe man es abdrehen können, und ihre Haltung drückte Widerstand aus. Widerstand gegen die Schwäche, auf die Borokin gesetzt hatte.
    Ohne Erklärung legte Borokin seine Hand auf die Gabel und unterbrach das Gespräch.
    »Was soll das?« rief Irene Brandes und warf den Hörer auf den Tisch. Eine Ecke splitterte ab. Als Borokin die Hand wieder hob, ertönte grausam laut das Rufzeichen des Amtes.
    »Genug mit Mutti!« sagte Borokin hart. »Ich wollte nur beweisen, daß Ihre Mutter in Eisenach ist.«
    »Morgen kann sie schon wieder in Berlin oder in Moskau sein … was bedeutet das?«
    »Sie bekommen einen Herzanfall und lassen Wolfgang Wolter benachrichtigen.«
    »Nein!« schrie Irene und ballte die Fäuste. »Nein! Nein!«
    »Ich muß wissen, wo Wolfgang sich befindet, und ich muß ihn unbedingt in den nächsten zwei Tagen sprechen.«
    »Ich spiele nicht mehr mit!« schrie Irene verzweifelt. »Sie sind ein Teufel, Borokin! Ein Teufel!«
    »Wir sind alle Teufel, Irene. Wir müssen es sein, um in dieser Welt leben zu können, die zur Hölle geworden ist.« Borokin rauchte seine Zigarette weiter und ging zurück zum Fenster. Unten auf dem Rhein umfuhren die Schiffe mit den bunten Lichterketten die Insel Nonnenwerth mit dem weißen Kloster. Im Scheinwerferlicht strahlte romantisch die Ruine Drachenfels.
    »Spätestens übermorgen ist Wolfgang Wolter hier. Wie Sie das einrichten, überlasse ich Ihrer weiblichen List, oder Ihre liebe Mutti wird zurückgebracht nach Berlin-Karlshorst.«
    Irene Brandes schwieg. Bleich wie eine Wachsfigur stand sie wenig später unten am Rhein und starrte in die schmutzigen Wellen, die auch im Mondlicht nicht einladender wirkten.
    Die Augen zu und sich hinabfallen lassen, dachte sie. Nur ein paar Sekunden dauert die Angst, zerreißt einen der Todeskampf, dann ist alles vorbei und herrliche, göttliche, ewige Ruhe umgibt einen.
    Sie beugte sich vor, die Arme vor der Brust gekreuzt, und das Wasser gurgelte, und drüben um die Insel fuhren die weißen, fröhlichen Schiffe und spielte eine Kapelle zum Tanz.
    Noch ein paar Zentimeter, dann ist das Gleichgewicht verschoben, dachte sie. Dann wird das Wasser aufspritzen, und ich werde den Mund aufreißen und das Wasser schlucken und schreien, schreien und keiner wird mich hören, denn von den Schiffen fliegt das Lachen über den Rhein und übertönt der Gesang aus Hunderten von Kehlen die letzten Laute eines einsamen Menschen.
    Eine Hand berührte sie. Sie zuckte zusammen, aber dann griffen zwei Hände ihre Schultern und zogen sie zurück.
    »Komm«, sagte eine Stimme. »Laß uns nach Hause fahren.«
    »Wolfgang!« Sie fuhr herum, sie wollte aufschreien, aber er legte ihr die Hand auf den Mund und preßte sie an sich. »Wolfgang …«, schrie sie in seine Handfläche. »Wieso bist du hier? Wo kommst du her?«
    »Ich bin schon seit drei Tagen hier«, sagte er und führte sie zu ihrem Wagen, der auf einem kleinen Parkplatz am Rhein stand. »Ich erkläre dir das alles später. Komm jetzt nach Hause.«
    Er trug sie fast die wenigen Meter bis zum Wagen, und als sie in den Polstern saß, fiel ihr Kopf nach vorn und sie weinte haltlos.
    Schnell fuhr Wolfgang Wolter nach Bonn zurück.
    Jurij Alexandrowitsch Borokin wäre nicht so fröhlich gewesen, wenn er dies

Weitere Kostenlose Bücher