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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zwanzig Jahre zu spät. Und ein alter Mann bin ich geworden.«
    »In einer bösen Zeit leben wir, Bruder.« Gawril holte seinen Teller wieder heran. »Ich war Fischer auf Spiekeroog. Man nahm mich gefangen in Stalingrad. Zwanzig Jahre alt war ich damals, ein Milchbart, der überhaupt nicht wußte, was mit ihm geschah. Und hier lernte ich Jelisaweta kennen. Meine erste Liebe war's. Und ich hatte wieder ein Meer vor der Tür, ein Boot, Netze zum Fischen, ein Segel für den Wind. Und ein liebendes Weibchen. Was wollte ich mehr vom Leben! Was kenne ich von der Heimat, Bruder? Mit dreißig anderen Kameraden bin ich hiergeblieben, wir haben ein neues Dorf gebaut, wir haben Kinder, wir sind glücklich, wir entbehren nichts. Was soll's da mit dem Geschwätz: Du bist Deutscher? Wo die Menschen zueinander friedlich sind, wo man leben kann mit Frau und Kind, da ist Heimat.« Gawril kaute an einem Stück Fisch, die Gräten knackten zwischen seinen starken, mahlenden Zähnen. »Was sagst du dazu, Kolka Iwanowitsch?«
    »Ich habe genauso wie du gedacht, zwanzig Jahre lang. Aber nun leben sie alle. Meine Frau Agnes, mein Sohn Wolfgang, und Bettina schläft dort nebenan. Ich muß nach Deutschland zurück.« Kolka schob die Arme über den Tisch und legte die Hände auf die Finger Gawrils. »Kannst du mir helfen, Kamerad? Wir müssen hinüber in den Iran.«
    Gawril nickte. »Wir wollen keine Unruhe haben«, sagte er. »Sag den anderen nicht, daß du ein Deutscher bist. Du bist Kolka Iwanowitsch, und deine Tochter ist Wanduscha. Es gibt noch einige, die träumen von der Heimat; wir wollen sie nicht in Versuchung führen, mit euch zu gehen. Das hier ist ein Musterdorf, weil wir alle zusammenhalten. Zwietracht ist immer ein steiniger Boden. Gut ist es, daß wir zwei wissen, wer wir sind, und ich helfe euch in das, was ihr Freiheit nennt. Und nun faß zu, Bruder, und iß!«
    »Und das Foto?« fragte Kolka leise und füllte seinen Teller mit Fischsuppe. »Warum hängst du das Plenny-Foto an die Wand?«
    »Um mich selbst zu warnen, Kolka Iwanowitsch. Das war eine böse Zeit in Sibirien, und ich wußte nicht, warum man mich so höllisch bestrafte. Ein halbes Kind war ich doch noch!« Gawril sah hinüber zu dem kleinen Foto an der Wand. Sein Mund war verkniffen und böse. »So etwas soll nie wiederkommen!« sagte er hart. »Hier, am Kaspischen Meer, leben wir friedlich. Ich verstehe nicht, warum auch jetzt wieder überall in der Welt geschossen und gemordet wird und von neuen Kriegen die Rede ist. Wer will denn einen Krieg? Du, ich, Jelisaweta, die anderen alle? Frag sie mal! Keiner will es! Aber die Zeitungen sind voll von Drohungen. Es ist fast so, als würden nur Menschen mit paralytischen Gehirnen zu Politikern.«
    »Wer versteht das schon, Gawril?« sagte Kolka. »Aber sagst du so etwas laut, sperren sie dich ein.«
    »Auch in Deutschland?«
    »Auch in Deutschland. Es ist überall das gleiche. Und trotzdem muß ich hinüber, Bruder. Meine Frau, meine Kinder … es ist nun einmal die Heimat.«
    »Wir werden morgen nacht fahren«, sagte Gawril. »Mit einem Motorkutter schaffen wir es bis zum Morgen.«
    Kolka drückte ihm die Hände und sah ihn dankbar an. »Du bist ein guter Mensch«, sagte er. »Du hast ein ruhiges Leben verdient.«
    Aber man soll sich nicht auf das verlassen, was einem zusteht. Das Schicksal denkt anders, und leiten läßt's sich durch schöne Reden schon gar nicht.
    Am Nachmittag – Bettina und Kolka saßen in der großen Vorratshütte und schabten mit breiten Messern die Schuppen von den glänzenden Fischleibern – kam die Kokurina in den Raum gerannt und schob eine große Kiste zur Seite. Unter der Kiste sah man plötzlich einen quadratischen Einstiegdeckel, den sie an einem eisernen Ring hochzog.
    »Hinein!« rief sie. »Schnell hinein! Miliz ist im Dorf! Man sucht euch! Das ganze Dorf wollen sie auf den Kopf stellen. Gawril ist dabei, sie zu belügen, aber sie glauben ihm nicht. Los, hinein in den Keller!«
    Kolka und Bettina warfen die Messer weg. Über eine schmale Leiter kletterten sie in eine lichtlose, modrig stinkende Höhlung unter dem Raum, in der alte Säcke lagen, Tönnchen mit Salzfleisch und Fässer mit eingeschmolzenem Fett. Es war die heimliche Vorratskammer des Dorfes, die in schlechten Zeiten immer einen zufriedenen Magen garantierte.
    »Keinen Ton!« zischte die Kokurina, warf den Deckel zu und schob die Kiste wieder darüber.
    Kolka und Bettina kauerten sich auf die Tönnchen Fett und warteten.

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