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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hier«, sagte Irene, ehe Agnes eine Antwort geben konnte. »Er kam, um Mutter die Mitteilung von Bettinas Tod zu bringen.«
    Eine ganze Weile war es still im Zimmer. Agnes tastete nach den Händen ihres Sohnes, und sie fand, daß sie kalt waren wie Totenfinger.
    »Es ist doch nicht wahr, Wolf …«, stammelte sie. »Bettina lebt doch, nicht wahr … Es ist doch nur ein Irrtum … Der russische Offizier … du … Irene … ihr alle sagt doch, daß sie lebt. Oder … oder belügt ihr mich alle? Hat der Herr aus Hamburg recht?«
    »Nein, Mama.« Wolfgang hielt die unruhigen Hände seiner Mutter fest. Vertrauen und Kraft gingen von ihm aus, aber auch eine fremde, eisige Kälte. »Betti lebt! Ob in Moskau oder noch in Tiflis oder sonstwo. Aber sie lebt! Sie ist ein Politikum geworden.«
    »Was ist sie, mein Junge?« fragte Agnes mit hoffnungsfrohen Augen.
    »Sie ist zum Spielball zwischen Ost und West geworden. Es ist schwer, dir das zu erklären, Mama. Du würdest es nie verstehen, weil du zu ehrlich, zu normal, zu rechtschaffen bist. Aber sie lebt und wird wiederkommen, wenn entweder Ost oder West das Spiel gewonnen haben.«
    Man sah es Agnes Wolter an, daß sie wirklich nichts verstand. Wie sollte das auch möglich sein? Sie hatte nur ein mütterliches Herz. Um das, was um sie herum geschah, aber zu verstehen, mußte man ein politisches Herz haben.
    Eine Spottgeburt aus Dreck und Feuer, um mit Goethe zu reden.
    Wer aber liest heute noch Goethe?
    Für Agnes Wolter gab es nur eine Gewißheit: Bettina lebte. Wolfgang sagte es auch. Ihr Junge belog sie nicht.
    *
    Dimitri schrubbte die Toiletten in der Nachtbar ›Datscha‹ und war zufrieden dabei. Er hatte ein kleines Zimmer, ein gutes Bett, ein vorzügliches Essen und täglich 10 Rubel – umgerechnet – Lohn. Außerdem war Ilja Matwejewitsch Pikalow, der ›Datscha‹-Inhaber, ein guter Mensch, der nach Schließung der Bar Dimitri in sein Büro holte, mit ihm scharfe Cocktails soff und ihm die schönsten Tänzerinnen offerierte. »Umsonst, Brüderchen!« schrie er dann völlig trunken. »Als Prämie für das erfüllte Soll. Die Pinkelrinnen glänzen vor Sauberkeit, und keine Brille ist beschissen. Bruderherz, du bist zum Toilettenputzen geboren!«
    Man soll nicht denken, so eine Arbeit sei entwürdigend. Wer solches glaubt, ist kein Philosoph. Nirgends offenbart sich der Mensch so deutlich und klar wie auf einer Toilette. Da ist er frei von allen gesellschaftlichen Formen, da steht der Generaldirektor neben dem Lagerarbeiter, beide benetzen die gekachelte Wand und sind zufrieden. Keine Unterschiede gibt's mehr, Freunde. Auf der Toilette ist der Kommunismus vollkommen, die Vereinigung aller Werktätigen, die Gemeinschaft der Schaffenden. Man sollte das ernsthaft überdenken, und es wäre der Sache wert, jede Toilette mit einer roten Fahne zu dekorieren.
    Das Schönste aber sind die Gespräche, so von Rinne zu Rinne, gelöst von allem inneren Druck, sich hingebend dem Genuß der Befreiung.
    »Fahren Sie morgen mit hinaus aufs Meer?«
    »Wenn ich bis dahin wach bin, haha! Haben Sie die süße Schwarze an meinem Tisch gesehen?«
    »Mitten im Meer baden wir immer ohne.«
    »Romantisch.«
    »Übrigens soll der Benthier pleite sein.«
    »Die dritte Pleite! Er ist ein Künstler im Konkurs.«
    »Er soll einen Armenier als Berater haben. Der ist außerdem der Liebhaber der Frau.«
    Das Rauschen der automatischen Spülung.
    Händewaschen. Abtrocknen.
    Ein Trinkgeld für den Wärter.
    Danke, mein Herr.
    Dimitri, ein neues Handtuch. Oben beginnt eine neue Tanzvorführung. Dann bleiben die Toiletten leer. Und man hat Zeit, die Brillen und Becken zu kontrollieren und abzuwischen.
    Bitte, Freunde, nicht die Nase rümpfen. Dimitri Sotowskij bekam allerlei wichtige Dinge mit. An der Börse hätte er spielen können, auf dem Pferderennplatz; er hätte zollfreie Waren kaufen können und geschmuggelte Medikamente. Alles erfuhr er vor diesen geheimnisvollen gekachelten Rinnen, an denen der Mensch von einer kindhaften Sanftheit befallen wird.
    Und erst die Damentoilette!
    Freunde, ist es nicht ein soziologisches Problem, wenn die millionenschwere Gräfin sich auf die gleiche Kunststoffbrille hockt, auf der eben noch eine kleine, miese Nutte gesessen hat?
    Warum hat Lenin nicht daran gedacht? Es gab doch immer schon die Gleichheit der Menschen untereinander.
    So verlief die Nachtarbeit Dimitris. Am Tage schlief er bis gegen Mittag, dann wurde er Laufbursche, kaufte mit Ilja in der Stadt ein,

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