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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die Luft war bedrückend, faulig und feucht. Wie lebendig begraben kamen sie sich vor, und Bettina hielt die Hand Kolkas fest, wie ein ängstliches Kind, das nicht weiß, was das Donnern am Himmel bedeutet.
    »Agafonow hat uns also doch verraten«, flüsterte Bettina an Kolkas Ohr. »Was wird aus uns, wenn sie uns finden?«
    »Sie finden uns nicht, Kind«, sagte Kolka auf deutsch. »Gawril wird sie ablenken.«
    »Ich habe Angst, Vater.« Bettina legte den Kopf auf Kolkas Schulter. Über ihnen stampften jetzt schwere Stiefel, sie hörten Stimmen und das Klopfen von Gewehrkolben gegen die herumstehenden Kisten. Und dann die Stimme Gawrils, die sagte:
    »Ich sage es euch doch, Genossen: Wir hätten sie sehen müssen, wenn sie hier gestrandet wären.«
    »Sie stehen genau über uns«, flüsterte Bettina und zog den Kopf ein. »Wenn sie die Falltür sehen …«
    »Psst!« machte Kolka. Auch ihm war ungemütlich, aber nun war er wehrlos, es gab keine Flucht mehr. Nur warten konnte er und inbrünstig beten, daß diese Minuten vorübergingen.
    Die Stiefel über ihnen polterten hin und her. Ein Gewirr von Lauten drang durch den dicken Holzboden, aber so undeutlich, daß sie nicht verstehen konnten, was man über ihnen sprach. Aber sie krochen näher zusammen, umarmten sich, als seien es die letzten Minuten vor einem Abschied für alle Zeiten, und starrten auf die Falltür über ihren Köpfen. Wenn sie sich bewegte, wenn ein Lichtstrahl in den geheimen Keller fiel, sahen sie die Freiheit nie wieder. Das wußten sie ganz gewiß.
    Die Milizionäre suchten gründlich. Alle Kisten ließen sie öffnen, stachen mit langen Bajonetten in die Fässer mit Salzfisch, denn man kennt ja solche Tricks: Ein leeres Faß, darüber eine Lage Fettpapier, darauf zwei Lagen Fische, und jeder glaubt, das Faß sei voll bis zum Rand. Dabei sitzt ein Mensch im Fäßchen und lacht über die Dummheit der anderen.
    Doch dieses Mal suchte man vergebens. Ärgerlich verließen die Milizionäre das Vorratshaus, und der Leutnant, der die Suche führte, ließ die Fischer samt ihren Frauen, Kindern und Alten am Ufer aufmarschieren und hielt ihnen einen Vortrag.
    »Wer die beiden Flüchtlinge verbirgt«, schrie er, »ist ein Volksverräter! Er wird bestraft, als sei er selbst der Flüchtling! Ich lasse zwei Milizionäre hier, denn irgendwo in dieser Gegend müssen sie an Land getrieben sein. Eine Kiste ihres Bootes, mit einer Handharmonika darin, lag drei Werst von hier im Sand. Ich warne euch, Genossen, wenn ihr uns belügt!«
    Vorausgegangen war dieser Suche eine ausgesprochen tragische Situation. Es war natürlich, daß man Agafonow vermißte, und sein Weibchen stimmte ein helles Geschrei an, raufte sich die Haare, spuckte ins Meer, nannte es eine Hure und beklagte ihr Leid als Witwe. Das ganze Dorf empfand mit ihr, denn Agafonow war ein guter Mensch gewesen, ein treuer Kamerad und lieber Säufer. Daß er so enden mußte, war ungerecht.
    Die Agafonowa trauerte vier Tage um ihren Daniel Alexandrowitsch, aß nichts, trank nur Wasser und war das Bild eines tiefen Jammers. Das änderte sich allerdings, als ein Kontrolleur der staatlichen Versicherungsgesellschaft aus Saljany eintraf, um zu sehen, was da geschehen war, denn Agafonow war versichert. 5.000 Rubelchen war ihm sein Leib wert gewesen, und wenn ihn das Meer verschluckt hatte, mußte die Versicherung nun der gebrochenen Agafonowa die 5.000 auszahlen.
    Freunde, welche Versicherung tut so etwas gern? Das Personal einer Versicherung ist darin geschult, Geld einzutreiben – vom Auszahlen wird selten gesprochen. Und wenn, dann gibt es Schwierigkeiten über Schwierigkeiten, lange Fragebogen, Erklärungen, Zeugenvernehmungen; alles Dinge, die man bei der Aufnahme in die Versicherung nicht nötig hatte. Da brauchte man nur zu unterschreiben. Aber wem erzähle ich das? Wir kennen das doch alle, Genossen.
    Der Inspekteur aus Saljany ließ sich von den Tränen und Trauerschreien der Agafonowa nicht beeindrucken. Wer Geld hergeben soll, muß einen klaren Kopf behalten. Dagegen fragte er, bohrte er und verhörte er, und es ergab sich ein Bild, das merkwürdig war. Daniel Alexandrowitsch war aufs Meer gefahren zu einer Zeit, in der ein Fischer gar nicht fischen geht. Vielmehr schien es so, als habe der gute Agafonow plötzlich die Lust verspürt, einen kleinen Ausflug zu machen, eine Lustfahrt auf See.
    »Aha!« sagte der Inspekteur aus Saljany. »Versichert ist er gegen einen Betriebsunfall. Aber er war nicht im

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