Begegnung in Tiflis
Betrieb, er fuhr zum Vergnügen hinaus. Sollen wir sein Vergnügen noch bezahlen: Mit 5.000 Rubeln? Das riecht ja nach Sabotage, Leute! Gut, er ist tot, aber es war ein Vergnügungstod. Das gilt nicht. Nur in Ausübung seines Dienstes … Wollt ihr den Staat um 5.000 Rubelchen betrügen? Warum muß er hinaus aufs Meer? Nicht um Fische zu fangen. Wer weiß, was er dort wollte. Nicht einen Rubel gibt es!«
Die Agafonowa heulte laut, ihr Kummer war nun doppelt groß, und das ganze Dorf nahm noch mehr Anteil, denn nun gab es keinen Leichenschmaus und keine Fässer Kwaß, mit denen man des guten Daniel Alexandrowitsch gedenken konnte.
Alle aber verfluchten den Inspekteur aus Saljany.
Und siehe da, plötzlich tauchte Brüderchen Agafonow wieder auf! Fröhlich, lebendig, Zigarren rauchend, mit Geld in der Tasche. Die Agafonowa fiel in Ohnmacht, als sie ihn wie einen Kobold über den Strand kommen sah; nur der Inspekteur verstand keinen Spaß und alarmierte die Miliz. Wie konnte Daniel Alexandrowitsch auch wissen, daß ein Inspekteur im Dorfe war?
Nun kam alles heraus. Agafonow, der erst stumm wie ein Fisch sein wollte, begann zu reden, als der Milizkommandant eine Gerte aus dünnem Stahl auf den Tisch legte und erklärte, daß selbst eine Elefantenhaut davon aufplatzen würde.
Freunde – Agafonow war kein Elefant, sondern nur ein kleiner, schwacher Mensch. Und so erzählte er alles, und die große Suchaktion begann. In Tiflis, wo man noch immer glaubte, der brave Kolka Iwanowitsch Kabanow besuche eine Tante in Batum, wurde man rot bis hinter die Ohren und bat um wenig Aufsehen.
Die Maschinerie der Polizei rollte an.
Und Agafonow hoffte im stillen, daß sie schon längst über die Grenze seien, der gute Kolka und sein Töchterchen Wanduscha, das so schön war wie ein Mädchen aus den Zeitungen.
*
Als es an der Wohnungstür klingelte, glaubte Agnes Wolter, es sei der Briefträger. Die Zeit dazu war es; sie band ihre Küchenschürze ab, trocknete die feuchten Hände – sie hatte gerade Kartoffeln geschält – an einem Küchenhandtuch ab und öffnete dann die Tür.
Es war nicht der Briefträger. Ein ernster, großer Mann im dunklen Anzug und mit einem schwarzen Hut in der Hand stand im Treppenhaus und legte sein Gesicht in kummervolles Mitgefühl.
»Mein Sohn ist nicht da«, sagte Agnes Wolter schnell, denn ein solcher Besuch konnte nur für Wolfgang sein. So sahen viele Herren aus, die irgendwelche Positionen in der Regierung bekleideten; Agnes Wolter kannte sich da nicht aus, sie hatte nur mit Verblüffung entdeckt, daß der Dienst in einem Ministerium eine Art Schleifstein sein mußte: die Beamten sahen alle gleich aus.
»Mein Sohn kommt gegen Abend wieder«, sagte sie, als der dunkel gekleidete Mann ergriffen schwieg. »Sie können ihn in seiner Dienststelle im Verteidigungsministerium sprechen.«
»Ich komme aus Hamburg«, sagte der dunkle Herr und sah Agnes Wolter tief in die Augen. »Karl Malitzer, mein Name. Von der DBOA.«
»Ach!« Durch das Herz Agnes Wolters fuhr ein Stich. Die Fluggesellschaft Bettinas. Ein Herr kam aus Hamburg zu ihr. »Bitte, treten Sie ein«, sagte sie, plötzlich unsicher. »Es ist ein wenig eng hier … nur eine Notwohnung … ich wohne ja eigentlich in Göttingen.«
»Ich weiß, gnädige Frau.« Karl Malitzer setzte sich und starrte auf ein Bild, das an der Wand hing. Ein Foto von Bettina Wolter als Stewardeß. Es hatte keine schwarzen Schleier als Dekoration; es war das Bild einer Lebenden. Herr Malitzer bekam einen roten Kopf. Er verdammte seinen Auftrag.
»Eine Tasse Kaffee, Herr Malitzer?« fragte Agnes Wolter und wußte nicht, wohin sie ihre unruhigen Hände tun sollte. »Was … was führt Sie zu mir? Haben Sie Nachricht von Bettina? Kommt sie frei?«
Herr Malitzer fuhr sich mit dem Zeigefinger in den Kragen. Man soll nicht sagen, daß es leicht ist, einem anderen Menschen schonungsvoll klarzumachen, daß alles Warten umsonst ist.
»Wieso frei?« fragte er deshalb dumm.
»Aus Moskau, meine ich.«
»Was ist mit Moskau?«
»Bettina ist doch in Moskau.«
»Nein, sie ist in Tiflis. Das heißt … ich meine …« Herr Malitzer putzte sich ergriffen die Nase. »Sie haben doch sicherlich damit gerechnet, gnädige Frau … Nach solch einem Unglück …«
»Womit soll ich gerechnet haben?« fragte Agnes Wolter leise. Eine ungeheure Unruhe kroch in ihr hoch.
»Ihre Tochter Bettina ist beklagenswerterweise unter den Opfern des Unglücks. Wir haben jetzt Gewißheit.
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