Begegnung in Tiflis
»1919 bin ich hiergeblieben. Als ich von Koblenz auszog, als junger Sanitäter, ritt der Kaiser auf seinem Pferd als Denkmal am Deutschen Eck. Steht der Kaiser noch da, Brüderchen?«
»Ich weiß es nicht, Fedja. Als ich vor zwanzig Jahren aus Deutschland weg mußte, ritt er noch auf seinem Sockel.«
»Was für ein Leben haben wir hinter uns, Kolka!« Fedja umarmte ihn und küßte ihn dreimal auf beide Wangen. »Grüße Koblenz von mir«, sagte er an Kolkas Ohr, und es war rührend, welch ein hartes und holpriges Deutsch er jetzt sprach. »Ich habe in Koblenz mein erstes Mädchen geliebt. Das habe ich nie vergessen. Rosemarie hieß sie. Ein Name voller Blütenduft. Gott sei mit dir, Brüderchen!«
Das letzte, was Kolka von Rußlands Küste sah, war der alte Fedja, der humpelnd neben dem Wasser herlief und mit beiden Armen winkte. Dann verschluckte ihn die Dunkelheit, und nur noch das Meer war um sie, und ein wilder Himmel mit Wolken, die aussahen wie galoppierende Reiterscharen.
Sie machten eine gute Fahrt. Mit einem Motor kommt man schnell voran, und Gawril meinte, daß sie vor dem Morgengrauen in der Dreimeilenzone des Irans seien und dann sicher wären vor allen Verfolgungen.
Aber so sicher Gawril auch sprach – sie waren alle unruhig.
Da war die Razzia durch die Miliz gewesen, da war die Sorge, daß auch die Seekreuzer Alarm bekommen hatten, und vor allem packte sie die Unruhe, je näher sie dem Iran kamen und damit der Freiheit.
»Wie kommst du wieder zurück?« fragte Bettina, die neben Gawril am Führerstand lehnte.
»Ich werde sagen, ich hätte mich verfahren. Wer will's mir beweisen?«
So fuhren sie vier Stunden, tankten zweimal aus den mitgenommenen Kanistern auf, denn der alte Motor fraß den Brennstoff wie ein Wolf im Winter einen Hasen, zumal sie immer mit höchster Geschwindigkeit fuhren.
In der fünften Stunde schreckte Bettina hoch. Sie hatte mit einem Fernglas den Horizont abgesucht, und plötzlich sah sie einen Schatten links von ihnen. Ein länglicher Schatten, nach oben ausgebogen. Ein dunkles Schiff.
»Laß sehen!« sagte Gawril, nahm das Glas, sah kurz hindurch und wendete das Boot mit einer scharfen Kurve zur Küste.
»Sie sind's!« sagte er ruhig.
»Die Wachboote?« fragte Kolka heiser und rang die Hände.
»Ja. Nur Ruhe, Freunde. Sie müssen sich verfahren haben. Nach meiner Ansicht sind wir schon in persischen Gewässern. Rechts von uns liegt die iranische Küste. Wir sind innerhalb der Dreimeilenzone. Ein Schnippchen haben wir ihnen geschlagen, haha!«
In diesem Augenblick blitzte es gegenüber auf. Ein trockener Knall zerriß den Zusammenklang von Wind und rauschendem Meer, und dann rauschte es über ihnen, brummte und summte, und vierzig Meter vor ihnen schlug eine Faust in das Meer und schoß eine Fontäne in den Nachthimmel.
»Sie schießen auf uns!« schrie Kolka und riß Bettina an sich. »Das war eine Granate!«
»Der typische Schuß vor den Bug«, Gawril lachte böse. »Stark fühlen sie sich. Aber wir sind in persischen Gewässern.«
»Was willst du tun?« rief Kolka. Am Horizont flammten Scheinwerfer auf und blinkten. Halt! hieß das. Sofort anhalten! »Ich fahre weiter!« sagte Gawril hart. »Sie werden nicht die iranische Hoheit verletzen.«
»Und wenn sie es doch tun? Wer will sie hindern?«
Gawril schwieg. Aber der Motor heulte auf, das Boot schoß vorwärts und raste der Küste entgegen.
Wieder durchbrach ein Knall die Nacht – der zweite Schuß.
Kolka zog den Kopf ein, als es über ihnen orgelte.
Kürzer dieses Mal. Nur zehn Meter seitlich von ihnen. Das Meer schien aufzujaulen, als sei es verwundet.
»Der nächste Schuß sitzt!« brüllte Kolka. »Dreh bei, Gawril! Mach dich nicht unglücklich! Halt den Motor an! Es ist vorbei mit uns! Es ist vorbei! Wir haben das Rennen verloren.«
Gawril schwieg. Sein breites Gesicht war versteinert. Er stellte den Motor nicht ab, er gab das letzte Gas hinein. Die Scheinwerfer des sowjetischen Kanonenbootes blinkten wieder. Und dann der dritte Schuß.
»Gott sei bei uns!« schrie Kolka. Mit beiden Armen preßte er Bettina an sich und drückte ihr Gesicht an seine Brust. »Wir werden in die Luft fliegen wie ein Stück Holz im Sturm.«
Der dritte Schuß lag wieder etwas weiter vor ihnen, der nahen Küste zu. Das Meer wurde hochgepeitscht, eine Wassersäule ringelte sich in den Nachthimmel. Die Scheinwerfer glitten über das dunkle Wasser, tastende, grellgelbe Finger, die nun keine Signale mehr gaben, sondern
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