Begegnung in Tiflis
ist gut, daß wir jetzt den Weg wissen! Das Kaspische Meer ist ein sowjetisches Meer. Was kümmern mich Dreimeilenzonen nach dem Iran? Wir werden alle Motorboot-Flottillen in Marsch setzen. Wir riegeln die iranische Küste ab! Hubschrauber in die Luft! Zum Teufel noch mal, sollen wir von zwei Menschen zu Bettnässern gemacht werden?«
Zunächst aber wurde die Wohnung ausgeräumt. Das ist ein beliebtes Spiel bei autoritären Staaten. Man beschlagnahmt, transportiert ab, vernichtet alles, was an den Staatsfeind erinnert, und man gibt die Wohnung einem braven, treuen Genossen, der sie neu tapezieren läßt und den letzten Geruch des miesen Vorgängers mit Pinsel und Farbe entfernt.
In diese Zeit fiel die Entlassung der letzten Verwundeten des Flugzeugunglücks in die Heimat. Auch Copilot Paul Andresen wurde abgeholt; Chefpilot Pohlmann blieb in Tiflis, seine Verletzungen waren noch nicht so verheilt, daß er transportfähig war. Außerdem war er das Paradestück des Grusinischen Krankenhauses Nr. I, und Professor Semlakow kämpfte um ihn wie eine Amme um das Kind. Die zerstörten Hornhäute vor den Augen Pohlmanns wollte er durch ein Transplantat ersetzen. Die Spender waren schon gefunden: zwei junge Kaukasier, die bei einem Autounfall verunglückt waren und im Sterben lagen.
Noch einmal verhörte Oberst Jassenskij den glücklichen Andresen, zehn Minuten vor dem Abflug nach Deutschland.
»Sie haben gelogen!« sagte Jassenskij scharf. »Nix Mann wie Schweinchen war Begleitär von Bettina, sondern altes Mann.«
»Nein.« Paul Andresen bekam einen großen Schrecken. Fing es schon wieder an? War das der Beginn einer Verhaftung? Wer wollte Jassenskij hindern, zu sagen: Dieser Mann bleibt hier?! »Er war jung.«
»Aha! Jungar Mann. Schwarzä Locken!«
»Nein. Ich habe ihn genau beschrieben.«
»Alle Deutschen sind Lügner!« sagte Jassenskij verächtlich, drehte sich herum und ging. Befreit ließ sich Andresen in das bereitstehende Flugzeug tragen; sein Bein war neu gegipst worden und durfte noch nicht voll belastet werden.
Aber erst als er über Tiflis schwebte und die herrliche Stadt unter ihm verschwand und die Berge des Kleinen Kaukasus bizarr um ihn herum in der Sonne glänzten, atmete er auf und wußte, daß das größte Abenteuer seines Lebens beendet war.
Aber die Sorge, was aus Bettina Wolter geworden war, flog mit ihm nach Deutschland.
Er ahnte nicht, daß hinten im Gepäckraum ein Zinksarg mitflog, der angeblich die sterblichen Überreste Bettinas enthielt. Auch General Oronitse erfuhr es zu spät, als das Flugzeug schon sowjetischen Luftraum verlassen hatte. Hier wußte wieder einmal einer nicht, was der andere tat. Austausch behördlicher Gedanken ist eine Seltenheit.
»Diese Idiotie!« schrie General Oronitse. »Wir schicken einen Sarg nach Deutschland, und diese Bettina sitzt am Kaspischen Meer! Und wenn sie gar schon über die Grenze ist? Ein amtlich versiegelter und verlöteter Sarg, und sie lebt! Safon Kusmajewitsch, wie wollen Sie da wieder herauskommen?«
Oberst Jassenskij schwieg. Rote Ohren hatte er und einen abwesenden Blick.
In solchen Minuten denken normale Männer an Selbstmord.
Nicht so Jassenskij. Er dachte an einen Ausweg. Er wollte General Oronitse für dieses Versagen verantwortlich machen.
*
Die Nacht war windig und mit jagenden Wolkenfetzen durchsetzt, als Gawril, Bettina und Kolka an Bord des Motorkahnes gingen. Niemand wußte davon, nur die Kokurina und der alte Fedja. Alles schlief auch schon, froh, bei diesem unfreundlichen Wetter nicht außerhalb der Hütten zu sein. Der nächste Morgen würde schon windig und naß genug sein; da mußte man hinaus aufs Meer, ganz gleich, ob der Himmel tobte oder die Sonne brannte.
Der Abschied war kurz. Man umarmte die Kokurina, die voller Sorgen war, denn die Fahrt, die Gawril antrat, war gefahrvoll und konnte sein Leben kosten. Aber sie klagte nicht und versuchte auch nicht, ihn umzustimmen oder auf die Kinder hinzuweisen, die er verwaist zurückließ, wenn das Schreckliche geschah. Gawril hatte Kolka sein Wort gegeben, und dabei blieb es.
Nur der alte Fedja hatte noch etwas zu sagen. Er nahm Kolka zur Seite, bevor dieser das Boot bestieg, und zupfte ihn an der Brust.
»Wohin kommst du in Deutschland?« fragte er leise.
»Nach Göttingen, Fedja.«
»Kannst du auch nach Koblenz kommen?«
»Natürlich.« Kolka sah den Alten fragend an. »Bist du auch ein Deutscher?« fragte er dann.
»Ja.« Fedja wischte sich über die Augen.
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