Begegnungen (Das Kleeblatt)
Wange. „Ich dachte mir, es sei sicherer und von daher auch in deinem Interesse, Ossi zu begleiten und bis nach Hause zu bringen.“
Von tödlicher Wut gepackt reckte Sus anne ihr Kinn empor und knirschte mit den Zähnen. „Zum Teufel mit dir! Das-habe-ich-gesehen! Warum bist du gerade jetzt hier und nicht dort, wo du hingehörst? Du solltest auf deiner mickrigen Rostlaube hocken und nicht mitten in der Nacht fremden Leuten den letzten Nerv rauben.“
„Susanne, bitte, kön nen wir nicht … es ist sicher besser in der Wohnung … wenn wir dort weiter reden.“
Mit einer knappen Kopfbewegung deutete er zu den hell erleuchteten Fenstern neben der Eingangstür, wo die Silhouette der blauhaarigen Fregatte zu erkennen war, die wieder einmal ihre Neugierde zu befriedigen gedachte. Sie hatte sich gewiss den ganzen Tag über auf das Schauspiel gefreut, das ihre jungen Nachbarn allabendlich zum Besten gaben. Und nun betrat sogar – Applaus, Applaus! – ein dritter Akteur die Bühne! Die Gerüchteküche würde niemals kalt werden, solange Adrian und sie in diesem Haus wohnten.
„ Bitte, Susanne, du darfst nicht glauben, ich sei hierhergekommen, um dir das Leben schwer zu machen.“
„ Ha! Kennst du den Ausdruck ‚jemandem das Leben zur Hölle machen’? Und hast du eine Vorstellung davon, wie oft der sich mir im Zusammenhang mit dir aufgedrängt hat? Ich habe mit dir nichts zu bereden, Clausing.“ Sie wedelte mit der Hand, als wollte sie ein lästiges Insekt verscheuchen. „Hau endlich ab!“
„Susanne .“ Er sah sie verunsichert an – der erste Hauch eines Verdachts, dass das Ganze möglicherweise doch nicht so laufen könnte, wie er geplant hatte.
„ Herrgott nochmal, ich will hier nicht Wurzeln schlagen! Und du hast möglicherweise bemerkt, dass ich selbst ohne deine vollkommen überflüssige Anwesenheit längst zum bevorzugten Gesprächsthema bei diesen Herrschaften geworden bin. Zu einem ständig betrunkenen Mann nun auch …“
Was immer sie hatte sagen wollen – er würde es nie erfahren, denn sie brach mitten im Satz ab, als hätte s ie sich an dem Wort verschluckt, und hustete erbärmlich.
Was? Hatte sie „Liebhaber“ sagen wollen? Das würde diese blöde Geschichte von damals zumindest nicht ganz von der falschen Seite treffen, obwohl ihr Fehltritt auf der „Heinrich“ bereits geraume Zeit zurücklag. Und längst vergessen war. Jawohl!
Als sie keine Anstalten machte , ihren einmal begonnenen Satz zu vollenden, wandte sich der Kapitän langsam um. Susanne konnte die tiefe Falte nicht mehr sehen, die sich zwischen seine dichten Augenbrauen grub.
Er hätte schwören können, dass sie ein Kraftfeld um sich herum errichtet hatte. Ein Schritt näher und er wäre dagegen geprallt. Sie hatte ihm seinen Ausrutscher also nicht verziehen, dachte er betreten und wütend zugleich. Weshalb wunderte ihn das eigentlich? Wie sollte sie ihm jemals vergeben können, dass er sich und sein gutes Benehmen, alle Disziplin und einfach jeglichen Anstand an diesem Abend an Bord der „Heinrich“ vergessen hatte? Sie war bei ihm geblieben und er revidierte im Gegenzug dafür seinen Befehl, dass der von Alkohol und Tabletten gezeichnete Adrian Ossmann sein Schiff zu verlassen hatte. Musste sie nicht annehmen, er hatte sie für ihre Bereitwilligkeit, mit ihm ins Bett zu gehen, bezahlt?
Wie immer, wenn es um sie ging, war es ihm schwergefallen, mit seinem Hirn zu denken. Und dieses eine Mal, in jener Nacht, benebelt von zu viel Whiskey und mehr noch von ihrer Nähe, hatte er großmütig die Entscheidung einem anderen Körperteil überlassen. Er hatte in ihrer Gegenwart nicht mehr klar denken können. Dabei war er stets so stolz auf seine heldenhafte Körperbeherrschung gewesen! Wie oft hatte er vor Ossi damit geprahlt, seine Gefühle unter Kontrolle zu haben? Zu jeder Zeit. Bei jeder.
Von wegen! Bei Susanne Reichelt hatte er nach Strich und Faden versagt. In jener Nacht war er zu einem sabbernden Idioten geworden.
Und selbst heute noch ertappte er sich dabei, dass sein Körper sofort reagierte, wenn er bloß an die Frau seines besten Freundes dachte. Von Anfang an war ihm bewusst gewesen, sich mit ihrer Anmusterung auf der „Heinrich“ seine eigene Hölle geschaffen zu haben. Er hatte sie mehr als alles andere in seinem Leben begehrt, doch als sie ging, hatte er sich über sich selbst geärgert, darüber, dass er es zugelassen hatte. Und dass sie seine Gefühle derart aufwühlen konnte. Er verfluchte sich
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