Begegnungen (Das Kleeblatt)
fühlte sich wie Ikarus, war in ihrem Höhenrausch der Sonne zu nahe gekommen und nun war sie am Boden zerstört. Selber schuld! Was machte sie auch Pläne, die andere mit einschloss?
Ihre Hände zitterten vor Anspannung wie Espenlaub, als sie den Autoschlüssel in das Zündschloss zu stecken versuchte. Es gelang ihr erst nach dem vierten Anlauf und sie fühlte eiskalte Wut in sich aufsteigen. Unbemerkt hatte sich eine Träne aus ihren brennenden Augen geschlichen und in den langen Wimpern verfangen. Mit einer hastigen Handbewegung wischte sie den neuerlichen Beweis ihres Kummers fort und startete den Motor.
Zumindest hatte sie das vorgehabt, denn im nächsten Moment ertranken ihre Augen in einem wahren Meer aus Tränen, weil wieder das jämmerliche Bild ihres Mannes vor ihr deutlich wurde.
„Du Bastard ! Verdammter Idiot! Wieso liebe ich dich eigentlich immer noch?“, schrie sie aus Leibeskräften und trommelte mit der Faust auf das Lenkrad, als hätte sie völlig den Verstand verloren. „Verflucht sollst du sein bis in alle Ewigkeit! Zur Hölle mit dir, ich hasse dich, Adrian Ossmann! Ich wollte dich schon nach dem Untergang bloß noch vergessen und hassen. Bitte, lass mich dich hassen. Du Hornochse willst meine Liebe doch gar nicht. Was habe ich falsch gemacht, dass du mich nicht willst?“
Plötzlich wünschte sie sich eine der kostbaren Kristallvasen zwischen die Finger oder wenigstens etwas von dem Tafelgeschirr mit dem protzigen Goldrand, von dem sie ohnehin zu viel besaßen, da sie nie Besuch empfingen.
Weil dieser närrische Eremit in ihrer für zwei Personen viel zu großen Wohnung nicht einmal Gäste ertrug!
Sie ließ den Kopf auf ihre Hände sinken, die sich in den Lenker gekrallt hatten, und lachte freudlos. Dann folgte ein letzter unflätiger Fluch, der selbst dem härtesten Seebären Tränen des Neids in die Augen getrieben hätte, und all die angestaute Spannung war verpufft.
Alles, wofür es sich zu weinen lohnt, ist auch wert, darum zu kämpfen. Die Worte eines früheren Freundes fielen ihr ein. Oh ja, Mehli hatte völlig Recht. Adrian Ossmann sollte ihre kämpferische Seite endlich kennenlernen! Und dann Gnade ihm Gott!
Sie hastete über die menschenleere Straße und betete dabei inständig, nicht zu spät zu kommen. Wie sollte sie Adrian erklären, aus welchem Grund sie um diese nachtschlafende Zeit allein in der Stadt unterwegs war? Die Wahrheit würde er sicher nicht hören wollen. Und um ihm irgendwelche Märchen glaubhaft auftischen zu können, fehlte ihr das schauspielerische Talent. Andererseits erschien es mehr als zweifelhaft, ob er in seinem momentanen, erbärmlichen Zustand überhaupt etwas von dem registrierte, was um ihn herum passierte. Viel wahrscheinlicher war, dass er längst friedlich im Bett lag und seinen Rausch ausschlief.
Und gar nicht bemerkt hatte, dass sie nicht zu Hause war. Weil er sie nicht vermisste. Weil sie ihm total gleichgültig war.
Mit fliegenden Fingern kramte sie im Laufen in ihrer Handtasche nach dem Haustürschlüssel. Zum Teufel, warum konnte sie nicht ein einziges Mal Ordnung in diesen Müllhaufen von Tasche bringen? War das so schwer?
Natürlich, es ist furchtbar schwer, giftete sie den Mann in ihrem Ohr an. Sie schleppte dieses Problem schließlich seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit sich herum. Ein Geburtsfehler gewissermaßen. Und sie war nicht bereit , lieb gewonnene Eigenheiten abzulegen wie einen alten Hut. Warum auch? Immerhin lebte sie schon lange genug mit sich selber, ohne dass dieses bisschen Chaos sie umgebracht hätte.
Aber vielleicht konnte ihr der mustergültige Adria n einen Rat geben? Ja, sicher, sie sollte sich ein Beispiel an Adrian Ossmann nehmen. Der war ein Ordnungsfanatiker wie aus dem Bilderbuch. Ein echtes Vorbild!
Hölle und Verdammnis! fluchte sie mit hochrotem Kopf. Der Schlüssel hatte sich allen Ernstes in Luft aufgelöst. Wenn Adrian erst einmal schlief, würde er während der nächsten zwei Stunden nicht einmal dann aufwachen, wenn neben ihm eine Kanone abgefeuert würde, ganz zu schweigen davon, dass er ihr Klingeln hörte! Bei welchem der Nachbarn sollte sie dann läuten? Wer war ihr wohlgesinnt und würde keine unnötigen Fragen stellen oder überflüssigen Kommentare abgeben? Von wem wusste sie, dass sie um diese Zeit noch nicht seinen Nachtschlaf störte? Wen, um Himmels willen, von diesen verknöcherten Herrschaften durfte sie ungestraft aus dem Bett klingeln? Sie kannte doch
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