Begegnungen (Das Kleeblatt)
Ich wollte dir nie wehtun.“
„Natürlich nicht“, quetschte sie zwischen zwei abgrundtiefen Schluchzern hervor. „Das hatte Adrian ebenso wenig beabsichtigt. Und trotzdem lässt er nichts unversucht, um mich zu verletzen.“
„Es ist wahr, er ist ein furchtbar starrköpfiger Esel , der sich in seine Entscheidungen selten hineinreden lässt. Das hat nichts mit dir zu tun, glaube mir, nicht das Geringste. Er war schon immer so, zumindest seit ich ihn kenne. Bereits frühzeitig war er auf sich allein gestellt, ist quasi gezwungen gewesen, einzig sich selbst zu trauen. Ohne seinen Dickschädel hätte er wahrscheinlich nicht überlebt.“
„ Ich habe keine Ahnung, was du damit sagen willst, ich weiß bloß, dass ich lange genug Rücksicht auf seine wunderlichen Eigenheiten genommen habe. Kein Mensch kann sich ewig hinter einer gestohlenen Kindheit verstecken. Das ist doch nicht normal! Er lebt jetzt und ich sitze heute und hier mit seinem …“
Abrupt hielt sie inne und biss sich auf die Unterlippe. Sie war entsetzt darüber, ihm beinahe zu viel verraten zu haben. Gütiger Himmel, ausgerechnet ihm! Wie brachte er sie immer wieder dazu, wie ein Wasserfall zu reden und ihr Innerstes nach außen zu kehren? Was hatte dieser Kerl an sich, dass sie bereit war, bedenkenlos ihr Herz vor ihm auszuschütten?
Sie hüstelte verlegen. Dann begann sie noch einmal von vorn, wobei sie bewusst langsam sprach, um auch ja keinem unbedachten Wort die Gelegenheit zu verschaffen , über ihre Lippen zu schlüpfen. „Ich sitze jetzt hier und brauche ihn.“
Die Wachsamkeit in Clausings blauen Augen verschärfte sich. Doch dann hielt er erschrocken die Luft an, als er ohne jede Vorwarnung Suses kleine Hand spürte, die sich an strategischer Stelle zwischen ihre Körper schob, um in ihrer Hosentasche nach irgendetwas zu wühlen.
„Nie habe ich ein Taschentuch bei mir, wenn ich es brauche“, grummelte sie und zog schniefend die Nase hoch.
Ihre Knöchel rieben unbeabsichtigt über seinen Unterleib und sie bemerkte erst, was sie damit anrichtete, als Clausing stocksteif stand und hastig ihr Handgelenk packte. Blitzschnell zog er ein blütenweißes Taschentuch aus seiner Hose und hielt es unter ihre Nase.
S pätestens jetzt sollte sie sich unverzüglich aus Clausings wohltuender Umklammerung befreien, wurde ihr klar, denn sie spürte mehr als lediglich Trost in seinen Berührungen, wenn er ihr mit seinem Taschentuch behutsam die Tränen von den Wangen tupfte oder eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Aber wie lange hatte sie schon menschliche Nähe und Wärme entbehrt? Sie wollte sich nicht darum kümmern, was Verstand oder Anstand verlangten, sondern sich ihren Gefühlen hingeben.
„Danke.“
Ein unverständliches Murmeln war seine Antwort. Susanne konnte nicht sehen, dass er die Augen geschlossen hatte und nach wie vor verzweifelt um seine Fassung rang.
„Wie hast du überhaupt hierher gefunden? Adrian war vorhin wohl kaum in der Lage , dir den Weg zu weisen.“
Als er nicht reagierte, schaute sie schließlich zu ihm auf und zuckte überrascht zusammen. Sein sonst so selbstbewusster Gesichtsausdruck war fort. Er wirkte zutiefst verwirrt und verunsichert. Sie legte ihre Hände auf seine Brust und schob ihn von sich, wobei ihr Blick auf den winzigen, goldenen Ring in seinem linken Ohrläppchen fiel. Mit einem Ruck drehte sie sich um und ließ sich stöhnend in einen Sessel sinken. Dieser Mann brachte sie aus dem Gleichgewicht! Immer noch.
„Ich … ich habe ihn … in den letzten Tagen … bin ich öfter …“
Schuldbewusst senkte der Kapitän die Augenlider. Sein Herz schlug schneller , weil er noch immer ihren weichen, warmen Körper an seinem männlich harten spürte und weil er sicher war, dass auch sie auf ihn reagierte. Nein, das hatte er schon immer gewusst, obwohl sie erst vor wenigen Minuten das Gegenteil behauptet hatte. Damit wollte sie ihn lediglich verletzen und mit Worten ihren hilflosen Zorn an irgendjemandem auslassen, da ihr Adrian in weiser Voraussicht aus dem Weg ging.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er ihr erklärt hatte, wie er seinem Freund im Hotel begegnet war. Ein ums andere Mal hielt er mitten im Satz inne oder verwechselte die Wörter. Er war mit seinen Gedanken meilenweit entfernt.
„Warum versuchst du es nicht einmal auf Deutsch?“, riet ihm Susanne angesichts seiner zusammenhanglosen Stammelei. Kichernd wandte sie ihm ihr Gesicht zu und sah gerade noch, wie etwas in seinem Blick
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