Begegnungen (Das Kleeblatt)
Umschweife dazu, einen Fehler begangen zu haben. Ha! Dieser schurkische Feigling!
In dieser Sekunde wurde ihr bewusst, dass sie Streit mit ihm suchte. Dagegen hatte dieser Teufel nichts Besseres zu tun, als sie um dieses Vergnügen zu bringen. Ging denn heute alles schief?
S o schnell freilich gab eine Susanne Reichelt nicht auf.
„Oh nein, Kapitän“, höhnte sie deshalb und hob begütigend die Hände, „ich bitte dich, tu uns das nicht an. Du solltest dich niemals derart vor dem gemeinen Volk erniedrigen. Der Märtyrer steht einem Matthias Clausing beim besten Willen nicht. Selbstkritik aus deinem Mund hatte von jeher einen mehr als scheinheiligen Anstrich. Das nehme ich dir nicht ab.“
Er schnaubte erbost und blickte himmelwärts, als betete er um Beistand von oben. Diese Frau stellte seine Selbstbeherrschung wahrlich auf eine harte Probe. Sie trieb ihn in den Wahnsinn! Er spürte, wie tödlicher Zorn in ihm aufstieg, und fuhr sich mit der Hand durch das dichte Haar, ein sicheres Zeichen für Susanne, dass er tatsächlich sehr erregt war.
Gut so! Sie hoffte, er würde die Last dieses Wissens um seine unverzeihliche Verfehlung bis ins Grab tragen. Je früher, desto besser. D enn das hatte er zweifellos verdient.
„Du bist mir also immer noch böse deswegen?“
Er hatte sich entschuldigt. Das kam bei ihm nicht allzu oft vor, da sein Stolz und Ego einem solchen Tun regelmäßig im Wege standen. Er hatte reumütig seinen Fehler eingestanden, wofür er wenigstens ein gewisses Entgegenkommen erwartet hatte, vielleicht sogar ein freundliches Wort. Was wollte sie denn noch?
Nein! Nein und noch mal nein. Ich werde keinen Wutanfall bekommen! mahnte er sich streng. Und ich werde ihr genauso wenig einen Liebesdienst erweisen und sie anbrüllen wie ein Moosbüffel. Diese Genugtuung werde ich dir nicht verschaffen, Süße, nur um mich dann von dir belehren zu lassen: „Wer schreit, hat Unrecht“. Ruhe, Vernunft und überlegtes Handeln hatten ihm stets am sichersten weiter geholfen. Und nicht einmal eine Susanne Reichelt würde ihn von dieser Strategie abbringen, davon war er überzeugt.
„Ich dir böse sein? Ha! Dass ich nicht lache! Bilde dir bloß nicht einen solchen Schwachsinn ein, Clausing! Du bist dermaßen fixiert auf dich selber, dass du nicht mal bemerkt hast, wie völlig egal du mir damals warst. Und glaube mir“, säuselte sie und blinkerte dabei albern mit den Augendeckeln, „daran hat sich bis heute nicht das Geringste geändert.“
„Wann immer du den Mund öffnest, hat man als Mann das Gefühl, höchstens drei Jahre alt und einen Meter groß zu sein.“
Sie kicherte leise vor sich hin bei dieser köstlichen Vorstellung, ihren Besucher hingegen bedachte sie mit einem herablassenden Blick über die Schulter. „Bist du jetzt endlich fertig mit dem, was du sagen wolltest? Wenn du dann die Güte hättest, endlich zu verschwinden.“
„Susanne …“
„Ich muss mich um deinen tollen Freund da oben kümmern.“
Ihr ätzend scharfer Tonfall schien Matthias plötzlich nicht mehr zu beeindrucken. Nicht, nachdem er die feuchten Schleier in ihren Augen gesehen hatte.
„Ich habe ihn … Er schläft sicher schon.“
„Verdammt, Clausing, lass mich in Ruhe! Ich habe das alles mit euch gründlich satt. Als ich sagte, ich will dich nicht mehr sehen, habe ich das im Ernst gemeint. Aber dich scheint überhaupt nicht zu interessieren, was andere möchten. Finde dich damit ab, dass du mich nicht so beeinflussen kannst wie Adrian, und hör vor allem auf, mich noch länger zu belästigen.“
Seine Wangen färbten sich aschfahl, in seinen Augen erlosch jeder Ausdruck.
„Hau ab und lass dich hier nie mehr blicken!“
Die inzwischen mit Gewalt aufsteigenden Tränen löschten das Feuer des Zorns in ihren Augen. Mit ihrer Beherrschung war es endgültig vorüber, als der Kapitän einen Schritt auf sie zu trat und seine Arme behutsam um sie legte. Ihr halbherziger Protest ging in heftigem Schluchzen unter.
Sich einfach fallenlassen. Allen Kummer und Schmerz aus sich herausschreien, fluchen und toben, ohne dass sie Rücksicht auf andere nehmen musste. Und an einer breiten Männerbrust liegen, von sanften Händen gestreichelt und getröstet werden. Genau das war es, was sie in dieser Sekunde mehr als alles andere brauchte. Obwohl es der falsche Mann war, sie genoss das beruhigende Gefühl, gehalten zu werden und einmal nicht stark sein zu müssen.
„Schsch, ist schon gut. Es wird alles wieder gut, Suse.
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