Begehrter Feind
meiner Seele, ich werde Euch nicht zur Last fallen! Mein Schwur gilt dasselbe wie der eines Ritters. Ich flehe Euch an, nicht um meinetwillen, sondern für einen kleinen Jungen …«
»Gisela!«
»… dem so vieles vorenthalten wurde«, schluchzte sie. »Vor allem die Liebe seines Vaters.«
De Lanceau bedeutete seinen Männern, sie loszulassen. »Welch eloquente Worte!«
»Ich meine sie vollkommen ernst, Mylord«, flüsterte sie.
»Nun gut. Lasst sie!«, befahl er. Kaum waren seine Männer zurückgetreten, ordnete er an: »Zu deinem Pferd, Gisela!«
Er sah zu Crenardieu und den vier elegant gewandeten Kaufleuten, die sich auf dem Bootssteg unterhielten, während er seine Fingernägel in die Seile bohrte, die seine Handgelenke fesselten. Die Schurken hatten ihn an einen Baum gebunden, der weit genug weg stand, dass die Händler ihn nicht bemerken würden. Während sie ihm die Hände an den Stamm fesselten, hatte einer die Armbrust auf ihn gerichtet. Ein zusätzliches Seil war um seine Brust geschlungen und drückte sie gegen den rauhen Baumstamm, in dessen Rinde sich Dominics Haare verfingen, und noch ein Tau sicherte seine Füße. Nach dem Fesseln hatten die Schurken lachend ein Stück Leinen in den schlammigen Boden am Ufer getunkt und es ihm dann in den Mund gestopft.
Hilflos wie ein angepflocktes Schaf wartete er darauf, geschlachtet zu werden.
Nein!
Beim Schlucken schmeckte er den Schmutz in seinem festen Knebel. Über ihm raschelten die Zweige und warfen Lichtmuster auf die Erde, während Dominic die Finger so tief zwischen seine Fesseln drückte, wie er konnte. Diesmal hatten sie ihn weniger gründlich verschnürt als vorher. Offensichtlich hielten sie es für unnötig. Vor lauter Vorfreude auf das Blutvergießen und ihre Bezahlung hatten Crenardieus Männer gekichert, als sie Dominic an den Baum banden. Anschließend waren sie zu den Bäumen näher am Ufer geschlendert, von wo aus sie sowohl Dominic im Auge behalten als auch hören konnten, was Crenardieu mit den Londonern aushandelte.
Zwar rieb die Rinde schmerzlich an seiner zerschundenen Haut, aber dennoch bewegte Dominic seine Hände hin und her. Das Seil gab etwas nach, mehr als beim letzten Versuch.
Wenn du dich nicht beeilst, du Narr, ist deine Chance vertan!
Er verdrängte die Stimme in seinem Kopf und wollte nicht daran denken, was passieren würde, sollte es ihm nicht gelingen, sich zu befreien. Er würde Gisela nie wiedersehen, nie wieder die Süße ihrer Lippen kosten, nie wieder stöhnend in ihrem wundervollen Leib versinken …
Crenardieus Lachen hallte vom Ufer herbei. Der dunkelhaarige Kaufmann neben ihm, der einen prächtigen braunen Umhang trug, reichte ihm die Hand.
Beeil dich!
Dominic rang nach Luft. Die Gerüche von Erde, Wasser, Pferden – von Leben – spornten ihn an, entschlossener zu kämpfen.
Nachdem sie sich die Hände geschüttelt hatten, schritten Crenardieu und der Kaufmann über den Steg ans Ufer, gefolgt von drei anderen Männern. Weitere Kaufleute warteten in den Booten, die sanft auf dem Wasser schaukelten. Sonnenlicht schien auf sie herab und erhellte ihre Gesichter – weiche Gesichter von Männern, die durch die harte Arbeit und das Unglück anderer reich wurden. Dominic prägte sich ihre Züge genau ein, als die Gruppe sich dem Wagen näherte. Die Händler wollten sich natürlich von der Qualität des Tuchs überzeugen, bevor sie ihre Münzen herausrückten.
Crenardieus Lakaien scharrten ungeduldig mit den Füßen, das Laub über Dominic raschelte.
Beeil dich, Idiot!
Dominic bohrte nochmals die Fingernägel zwischen die Seile, die ein bisschen mehr nachgaben. Gleichzeitig wurde das Leinentuch von den Stoffballen gezogen, deren Juwelenfarben im Morgenlicht schimmerten.
Die Kaufleute murmelten, und der Dunkelhaarige lächelte zufrieden, bevor er erst die gelbe, dann die kornblumenblaue Seide befingerte.
»Großartig!«, sagte er. »Wie Sie versprachen.«
Crenardieus Brust schwoll an wie die eines eitlen Hahns. »Der Preis, den ich verlange, ist fair,
oui,
gemessen an der Qualität?«
Der Kaufmann schob mehrere Ballen beiseite, um die darunterliegenden zu inspizieren. Alles wurde still. Sogar die Vögel schienen nicht mehr zu zwitschern, als warteten auch sie gespannt auf das Urteil.
»Abgemacht.« Der Kaufmann gab den Männern in den Booten ein Zeichen. »Wir zahlen Ihren Preis.«
»Bon.«
Crenardieu strahlte, und seine Schergen klatschten johlend in die Hände. Wasser schwappte an den
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