Begehrter Feind
Steg, als einer der Männer aus seinem schwankenden Boot stieg und mit einem Ledersack unter dem Arm das Ufer hinaufkam.
Der Kaufmann nahm seinem Diener den Beutel ab und gab ihn Crenardieu. »Es ist alles hier drinnen.«
»Ich möchte es zählen, wie Sie gewiss verstehen werden.«
Das Lächeln des Kaufmanns wurde etwas matter, doch er nickte.
Crenardieu nahm eine Decke vom Wagen, breitete sie auf dem Boden aus und schüttete den Beutelinhalt darauf. Gold blinkte.
Beeil dich schon! Los! Sobald er die Münzen gezählt hat, werden sie die Seide in die Boote verladen und fortsegeln. Dann hast du versagt!
Schweißperlen traten Dominic auf die Stirn. Er lehnte den Kopf gegen den Stamm und blickte hinauf in den Himmel, der von demselben Blau war wie an dem Tag, als Gisela und er sich zum ersten Mal geliebt hatten.
Der Tag, an dem sie ein neues Leben schufen – zusammen.
Zusammen.
Wie war es gekommen, dass für sie beide das Leben so unglücklich, so gefährlich geworden war, dass sie getrennt wurden?
Er kniff die Augen zu und schluckte, wobei noch mehr Schmutz seine Kehle hinunterrann. Dabei rieb er die Handgelenke aneinander. Er fühlte, wie ihm etwas über die Hand krabbelte – ein Insekt vielleicht oder eine Spinne.
Zweige wippten über ihm im Wind, und kurz darauf vernahm Dominic ein vertrautes Geräusch, das zunächst schwach war, aber beständig lauter wurde.
Trapp-trapp-trapp. Trapp-trapp-trapp. Trapp-trapp-trapp.
Pferde näherten sich im Galopp.
Geoffrey hatte ihn gefunden! Er hatte die Seide auf dem Weg gesehen und war Dominics Spur bis hierher gefolgt. Beschwingt von der neuen Hoffnung, mühte sich Dominic umso energischer mit seinen Fesseln ab. War er erst frei, könnte er sich geradewegs in die Schlacht stürzen. Crenardieu und seine Männer würden der Rache nicht entkommen, die sie verdienten.
Die Kaufleute redeten aufgeregt durcheinander, zogen ihre Waffen und versteckten sich im Unterholz zwischen den Bäumen. Mit wutverzerrter Miene drehte Crenardieu sich zu seinen Leuten um. »Geht nachsehen, wer da kommt!«, brüllte er sie an. »Wenn ihr sie nicht erkennt, tötet sie!«
Seine Schergen verschwanden im Wald, während der dunkelhaarige Kaufmann – dem eindeutig nicht wohl war, der allerdings auch sein Gold nicht einfach liegen lassen wollte – sein Schwert zog und zum Weg sah. Auch Crenardieu nahm seine Waffe hervor, legte sie auf die Decke und zählte die Münzen schneller, so dass sie laut klimperten.
Stimmen wehten vom Weg herbei, der sich zum Fluss hinunterwand. Dominic lauschte angestrengt. Was er über das Rauschen des Windes hinweg hörte, klang nicht nach bewaffneten Männern, die Feinde attackierten.
Die Hufschläge wurden langsamer, und kurze Zeit später kamen drei Männer hinter Crenardieus Leuten her auf die Lichtung geritten.
Dominic wollte vor Sorge und Enttäuschung schreien.
Gisela! O Gott, Gisela!
Denn bei den drei Reitern handelte es sich um die beiden Männer, die Crenardieu zur Bewachung von Giselas Laden abgestellt hatte – und um den sichtlich zornigen Ryle.
Kapitel 20
G isela, die hinter de Lanceau und Aldwin ritt, sah auf die teils eingestürzte Mauer und die Uferwiese, auf der sie gestern Abend mit Dominic gesprochen hatte. Daher bemerkte sie den Mann gar nicht, bis sie hörte, wie er »Mylord« sagte.
Etwas an seiner Stimme ließ sie aufhorchen, und sie wandte sich zu ihm um. Er hatte den Kopf respektvoll gesenkt und führte sein Pferd beiseite, damit de Lanceaus Trupp an ihm vorbeikonnte. Das Tier schnaubte laut, atemlos vom schnellen Ritt.
Als sie neben dem Mann war, hob er den Kopf ein wenig, so dass er Gisela direkt ins Gesicht sah. Ihr Herz drohte auszusetzen.
Einer von Crenardieus Lakaien!
Er war oft mit dem Franzosen zusammen in ihrem Geschäft gewesen.
Ein Flackern zuckte in den Augen des Mannes auf, und Schweiß glänzte auf seinem Gesicht, als er seine Zügel fester packte, um davonzugaloppieren.
»Lord de Lanceau!«, rief Gisela.
De Lanceau drehte sich zu ihr um, doch der Mann gab seinem Pferd bereits die Sporen. Er ritt nach Clovebury hinein, wo er sich mühelos im Gewirr der kleinen Straßen verstecken konnte.
Gisela zeigte auf ihn. »Er gehört zu Crenardieu!«
»Aldwin!«, rief de Lanceau und wendete sein Pferd, während er gleichzeitig seinen Waffenknechten zuwinkte. »Ihr kommt mit mir! Gisela, du wartest hier bei den anderen!«
De Lanceau, Aldwin und fünf andere setzten dem Mann nach. Staubwolken flogen vom Weg auf und
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