Begehrter Feind
Stimme in ihm forderte ihn auf, wie ein wildes Tier zu brüllen, um sie zu erschrecken, aber er bezweifelte, dass dies der richtige Moment für derbe Scherze war.
Die Luft im Raum veränderte sich, als Gisela an ihm vorbeiging, denn ihr blumiger Duft vermengte sich mit den übrigen Gerüchen. Dominic drehte sich um und folgte ihrem Duft, den er wie feinstes Parfüm genüsslich einsog.
Gisela schien kein Licht zu brauchen. Offenbar kannte sie den Raum bis ins kleinste Detail. Einen Moment später hörte er ein leises Klicken, dann strömte Licht durch die Tür zum hinteren Zimmer. Mitten im hellen Schein stand Gisela und sah ihn an. »Warte hier!«
»Warum?«, fragte er, ohne nachzudenken.
Während sie ihn ansah, schob sie ihre Kapuze nach hinten und enthüllte ihr goldenes seidiges Haar. Entschlossenheit funkelte in ihrem Blick und noch etwas anderes – Verärgerung? Statt ihm zu antworten, verschwand sie in dem anderen Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Dominic seufzte. Warum ließ sie ihn hier in dem leeren dunklen Raum warten wie einen unerwünschten Welpen und bat ihn nicht mit herein?
Er sollte einfach hingehen, die Tür aufreißen und … Aber so weit trugen ihn seine inzwischen sehr zittrigen Beine womöglich nicht mehr. Falls er nicht irrte, handelte es sich bei dem anderen Zimmer um ihre Wohnung. Dort hatte jemand gekocht. Wer teilte das Heim mit ihr? Eine Freundin? Eine Verwandte? Oder … ein Ehemann?
Eine eisige Faust schloss sich um Dominics Herz. Ja, sie könnte durchaus einen Ehemann haben. Eine anmutige junge Frau wie Gisela war wohl kaum allein. Daher wäre es klüger von ihm, auf eine Einladung zu warten, statt hineinzustürmen wie ein arroganter Esel. Er brauchte nicht noch mehr gebrochene Rippen.
Von nebenan hörte er leise Stimmen. Vorsichtig verschränkte er die Arme vor der Brust und lehnte sich halb auf den Tisch. Es tat gut, seine Beine ein wenig zu entlasten.
Dann schloss er die Augen und ließ sich ganz von der Stille einfangen.
Natürlich lauschte er auch.
Die Stimmen wurden etwas lauter. Eine war kindlich, beharrlich, die andere gehörte einer Frau, allerdings nicht Gisela. Die kindliche Stimme musste ein … kleiner Junge sein.
Dominic riss die Augen auf. War es das Kind der anderen Frau oder Giselas?
Er stützte die Hände auf den Tisch und richtete sich auf. Im selben Moment wurde die Tür geöffnet. Zaghaft lächelnd trat Gisela heraus. Sie hatte ihren Umhang abgelegt und trug nun ein schlichtes leicht verschlissenes Wollkleid, das ihre liebreizende Gestalt mehr verhüllte als betonte. Mit einer Talgkerze in der Hand kam sie auf ihn zu. »Du kannst jetzt hereinkommen.«
»Habe ich meine erste Prüfung bestanden?«, fragte er bissig.
Sie sah ihn verwundert an. »Prüfung?«
»In Ausdauer«, erklärte er, »indem ich hier wartete, bis du zurückkommst und mich holst.« Er grinste. »Die reinste Höllenqual, sei’s versichert.«
Sorgenfalten zeigten sich auf ihrer Stirn, als sie die Kerze dichter an ihn hielt und ihm in die Augen blickte. Wie wunderschön sie war! Das sanfte Kerzenlicht tauchte ihr Gesicht in einen Goldschimmer. Noch dazu waren ihre wundervollen Lippen ganz nah …
»Dominic, hat dich einer der Männer auf den Kopf geschlagen?«
»Mmm?« Er blickte ihr wieder in die Augen. Teufel auch, er könnte sich in diesem Blau verlieren! Die dichten Wimpern und die Farbe des Orienthimmels lösten pure Faszination in ihm aus.
»Dominic.«
Er zwinkerte ihr zu. »Gisela, ich wollte dich bloß necken.«
»Ach so.« Sie nahm die Kerze wieder herunter und trat einen Schritt zurück. Trotzdem entging ihm nicht, dass sie errötete, als sie auf die Tür zeigte. »Bitte, hier entlang.«
Er folgte ihr zur Schwelle. Wärme und Licht umfingen ihn, als er in den kleinen hinteren Raum ging. Der Boden war aus festem Lehm, das Zimmer karg möbliert. Dominic war überrascht, denn Giselas Eltern waren recht gut gestellte Kaufleute. Wie kam es, dass sie sich mit einem groben Tisch, einer Bank, einer spärlichen Küche und zwei sehr einfachen Strohbetten zufriedengeben musste? Immerhin knisterte ein Feuer im Herd.
Sein Blick kehrte zu dem Tisch zurück, an dem eine schwarzhaarige Frau mit einer Schürze stand, die ihn misstrauisch beäugte. Sie kreuzte die Hände über der Brust eines Jungen von ungefähr vier Jahren. Der Kleine hatte blaue Augen, genau wie seine Mutter, doch das dunkelblonde Haar musste er von seinem Erzeuger geerbt haben, wer immer der Mann sein
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