Begehrter Feind
hören.«
Wieder einmal schmeichelte er ihr, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschte, dass es ihm schlecht ging. »Es tut mir leid. Ich hielt es für das Beste, wenn wir uns beeilen.«
»Falls es noch weit ist, sollte ich mich einen Moment ausruhen.« Er trat zur Seite und lehnte sich gegen eine Wand, einen Arm um seine Rippen geschlungen.
»Mein Haus ist gleich hinter der nächsten Ecke«, erklärte sie. »Wie kann ich dir helfen? Wäre es leichter für dich, wenn du dich auf mich stützt?«
Er biss die Zähne zusammen. »Nein, es geht schon.«
»Bist du sicher?«
Er richtete sich auf und grinste verwegen. »Bei Gott, ich will gewiss nicht gesehen werden, wie ich mich auf dich stütze, als wäre ich ein Krüppel! Das würde meinen Ruf als starker, rüstiger Liebhaber ruinieren.«
Unweigerlich musste sie lächeln. »Ja, das wäre fürwahr entsetzlich.«
»Genau«, stimmte er ihr zu und legte eine Hand auf sein Herz.
Sein amüsierter Gesichtsausdruck war der gleiche wie bei Ewan – einschließlich der Grübchen. Dennoch wich ihr Lächeln ernster Besorgnis. »Je schneller wir bei mir sind, umso eher können wir uns deiner Verletzungen annehmen.«
Er nickte und bewegte sich vorsichtig von der Mauer weg.
Gisela ging langsamer und blieb neben ihm. Auch wenn er nichts mehr sagte, spürte sie, welche Mühe es ihn kostete, weiterzugehen. Kurz darauf zeigte sie zu ihrem Geschäft, das noch ein ganzes Stück entfernt, aber gut an dem gemalten Schild mit Nadel und Faden zu erkennen war, das über der Tür hing. »Dort ist es.«
Dominic atmete hörbar aus und ließ die Schultern hängen.
Hastig lief sie zu der verwitterten Holztür vor und angelte den Schlüssel aus ihrer Tasche. Ihre Hand zitterte, als sie den gusseisernen Schlüssel ins Loch steckte. Zugleich überkam sie eine finstere Beklommenheit, als wäre sie im Begriff, einen neuen, ungewissen Abschnitt ihres Lebens anzutreten.
Was zweifellos zutraf.
Das Schloss klickte.
Gisela steckte den Schlüssel wieder ein und schob die Tür auf. Dann winkte sie Dominic zu sich. »Komm herein!«
Kapitel 4
E ine wahre Flut unterschiedlicher Gerüche schlug Dominic entgegen, als er von der sonnenbeschienenen Straße in die dunkle Schneiderei trat. Der erste, den er ausmachte, war der eher schwache Duft von Essen. Sobald er einen Schritt weiter drinnen war, erkannte er den Holzgeruch der Bodendielen, den Geruch von Kreideputz an den Wänden sowie den von Tuch, das darauf wartete, von den dicken Ballen gewickelt, auf dem Tisch ausgebreitet, zugeschnitten und zu hübschen Kleidungsstücken verarbeitet zu werden.
Er atmete noch einmal ein. Dieser Raumduft weckte Erinnerungen an längst vergangene Tage im Hafen von Venedig. Dort war er mit Geoffrey gewesen, um für die reichen Kaufmänner Marco und Pietro Vicenza zu arbeiten, während Geoffrey sich langsam von den schweren Wunden erholte, die er sich auf dem Kreuzzug zugezogen hatte.
In jüngster Zeit hatte Dominic bei Geoffrey auf Branton Keep mit angefasst, wenn sie die Schiffsladungen feinster Seiden und anderer Stoffe abluden, die Pietro aus Venedig schickte.
Vorausgesetzt, die Ladungen kamen an.
Mitten im Raum blieb Dominic stehen, weil er Stimmen aus dem hinteren Zimmer vernahm. Ohne auf den Schmerz in seiner Seite zu achten, blinzelte er in den Schatten. Er sah die geweißten Wände, den Tisch mit dem Schneiderwerkzeug und das halbfertige Kleid am Wandhaken. Ein Ballen brauner Wolle lag neben anderen Stoffballen auf dem Tisch. Dominic ging hin und befühlte das Tuch. Nichts davon kam den edlen Tüchern nahe, die Geoffrey importierte. Keine Seide.
Aber warum glaubte er dennoch, feinste orientalische Seide zu riechen?
Er griff sich an die Stirn, worauf ein solcher Stich durch seinen Brustkorb fuhr, dass er beinahe auf den Tisch gekippt wäre. Und damit nicht genug, jagte auch noch ein unangenehmer Schmerz durch sein Kinn, als er das Gesicht verzog. Er durfte seinen Sinnen nicht trauen, solange ihn seine Verletzungen peinigten. Wahrscheinlich hatte er sich den Seidengeruch bloß eingebildet, als seine Gedanken abgeschweift waren.
Kalter, klammer Schweiß brach ihm zwischen den Schulterblättern aus. Während er sich das Gesicht rieb, hörte er, wie hinter ihm die Tür zur Straße geschlossen wurde. Im Raum wurde es duster. Nur hier und da drangen Sonnenstrahlen durch kleine Löcher in den Wänden.
»Ich hole ein Licht«, sagte Gisela. War ihr nicht wohl, mit ihm im Dunkeln allein zu sein? Eine verwegene
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