Begehrter Feind
ihr. Sie begehrte ihn so sehr.
Er nahm ihr das Gänseblümchen aus der Hand und strich mit der Blüte über ihr Mieder. Seine Hand zitterte. »Liebe mich, Gisela! Sei mein, jetzt und für immer!«
Sie verzehrte sich nach seinen Zärtlichkeiten, und dennoch bekam sie Angst. »Dominic …«
»Süßes Gänseblümchen.« Seine Finger glitten über ihr Mieder zu ihrem Ausschnitt. Er steckte das Gänseblümchen zwischen ihre Brüste, bevor er die Wölbungen mit einem Finger nachmalte. »Erzähl mir, was mit dir passiert ist! Erzähl es mir!«
Hoffnungslosigkeit legte sich wie ein dunkler Schatten über ihre Freude. »Dominic …«
»Erzähl es mir!«
Als seine Hand über ihre rechte Brust glitt, erstickte das Entsetzen in ihr den letzten Rest von Glück. Sie wollte etwas sagen, ihn warnen, aber sie brachte keinen Ton heraus.
Der Stoff ihres Kleides löste sich auf, und ihre vernarbte Haut war entblößt.
Dominic verzog angewidert das Gesicht. Dann sah er ihr voller Ekel in die Augen und stieß sie weg.
Mit einem stummen Schrei wachte Gisela auf. Sie blinzelte die Tränen fort, die ihre Wimpern benetzten, und rang nach Atem. Ihr ganzer Körper bebte vor Angst.
Während sie aus dem Traum erwachte, bemerkte sie, dass sie nicht auf ihrem Strohbett lag. Der Duft von Seide stieg ihr entgegen, gemischt mit dem säuerlichen Gestank von Kerzenrauch. Giselas Stirn lag auf ihrer Armbeuge.
Sie war am Nähtisch eingeschlafen.
Benommen setzte sie sich auf und rieb sich den Nacken. Ein unangenehmes Kribbeln wie unzählige Nadelstiche jagte ihr durch die tauben Arme. Sie massierte die geschundenen Muskeln, während sie unglücklich auf das halbfertige Kleid sah, das sie im Schlaf zerknautscht hatte. Sie dankte Gott, dass sie es wenigstens nicht beschmutzt hatte.
Wie konnte sie einschlafen? Sie wusste doch, dass sie keine Zeit verschwenden durfte, um Crenardieus Auftrag fertig zu bekommen!
Draußen rollte quietschend ein Karren vorbei. Das Dorf erwachte, und alle machten sich an ihr Tagewerk, was bedeutete, dass sie eine ganze Weile geschlafen haben musste.
»Wie dumm, wie dumm!«, murmelte sie und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Als sie von ihrem Hocker aufstand, bemerkte sie eine Pfütze aus Wachs in der oberen Ecke des Tisches. Es war aus dem Kerzenhalter übergelaufen und fast bis an den Stoff heran geflossen.
Erschrocken beugte Gisela sich vor und zog das Kleid weiter von dem Wachs weg. Dabei stieß sie mit einem Fuß gegen den Hocker, der laut scheppernd umkippte.
Gisela stöhnte. Sie könnte Ewan aufgeweckt haben, also musste sie jetzt eiligst das Kleid verstecken, ehe der Kleine kam, um nach ihr zu sehen. Bisher hatte sie es geschafft, das Versteck unter den Dielen vor ihm geheim zu halten, und es war besser, wenn er niemals davon erfuhr.
Zitternd faltete sie die Seide zusammen. Falls sie das teure Tuch beschädigte, schuldete sie Crenardieu einen Großteil ihrer sauer verdienten Ersparnisse. Fortan müsste sie viel vorsichtiger sein. Vor allem durfte sie nie wieder über der Arbeit einschlafen.
Sie hockte sich über die Bodenluke und legte das Kleid sorgfältig neben die zugeschnittenen Teile für den knöchellangen Umhang und den Restballen Seide. Als sie gerade die Dielen einlegen wollte, ging die Tür zum hinteren Zimmer auf.
Eilig sprang sie auf und eilte zur Tür, ehe sie zu weit geöffnet wurde.
Mit schlafzerzaustem Haar blinzelte Ewan sie an und rieb sich die Augen mit den Fäusten. »Mama, ich hab Krach gehört.«
»Ich habe versehentlich den Hocker umgeworfen, das ist alles. Leg dich wieder hin.«
Der Kleine runzelte die Stirn. »Wann bist du denn aufgewacht?«
»Vor einer Weile.« Das war nicht ganz ehrlich, aber eigentlich auch nicht gelogen.
»Darf ich mich zu dir in die Schneiderei setzen?«
»Heute Nachmittag, ja?« Sie zeigte auf sein Strohbett. »Geh wieder ins Bett. Ich wecke dich nachher.«
Er drehte sich langsam um, als wollte er ihr gehorchen. Doch ehe sie sich’s versah, wirbelte er blitzschnell herum und rannte kichernd in den Laden.
»Ewan!«, rief Gisela und hielt sich die Hand an die Stirn.
Sie erkannte genau, wann er das Loch im Boden sah, denn seine Schritte verstummten. Als sie sich zu ihm umwandte, hockte er neben der Luke und spähte hinein. Dann drehte er sich mit leuchtenden Augen zu ihr um. »Das ist ein Geheimversteck!«
Gisela nickte. »Jetzt, wo du es gefunden hast …«
»Sind da Drachen unten drin, Mama?«
Die Frage kam so überraschend, dass Gisela
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