Begehrter Feind
den Speichel des Schlägers fortzuwischen. Ihm selbst war auch nach Heulen zumute – und nach Brüllen. Es täte ihm wahrlich gut, seinen aufgestauten Gefühlen Luft zu machen.
Aber er würde noch Gelegenheit haben, sich den Schurken vorzunehmen – ganz gewiss.
Dominic bückte sich und hob den Ball auf. Inzwischen hatte die Frau ihren Sohn auf den Arm genommen, redete beruhigend auf ihn ein und eilte dabei zur Straße zurück. Erst als sie wieder sicher im Sonnenlicht und unter Menschen war, blieb sie stehen und drückte den Kleinen fest an sich.
Dominic ging auf sie zu. »Ich glaube, das hier gehört deinem Sohn.« Er hielt ihr den Ball hin.
Verwirrung spiegelte sich im Gesicht der Frau, das trotz ihrer sicher noch jungen Jahre von der vielen Arbeit draußen faltig war. »Mylord.« Sie versuchte, einen Knicks zu machen, aber Dominic winkte ab. Also nickte sie nur scheu und nahm den Ball. »Ich danke Euch.«
Der kleine Junge, der den Kopf an ihrer Schulter verborgen hatte, schaute strahlend auf.
Dominic lächelte ihm zu, weil er gar nicht anders konnte. Das entzückende Grinsen des Kleinen war einfach ansteckend … und eine wunderbare Befriedigung.
Eines Tages würde sein eigener Sohn ihn so ansehen.
Diesen merkwürdigen Gedanken verwarf er gleich wieder als unsinnig. Schließlich hatte er Wichtiges zu erledigen. Vor allem musste er Geoffrey Bericht über seine bisherigen Fortschritte erstatten.
Er nickte Mutter und Kind kurz zu, drehte sich um und ging.
Gisela glättete ihr Kleid mit der Hand und öffnete die Ladentür. Ein Schwall frischer Luft drang herein und wehte über die frisch gefegten Dielen. Langsam und genüsslich sog sie die Gerüche des belebten Dorfes ein. Wie sie es hasste, den ganzen Tag drinnen eingesperrt zu sein, abgeschieden von der Außenwelt, wie eine Sklavin von ihrem Auftrag für Crenardieu gefangen gehalten!
Bald würde sie sich keinem Mann mehr fügen müssen.
Sie sah sich sorgfältig in ihrer Schneiderei um. Den Boden hatte sie zwei Mal gefegt, damit auch ja keine blauen Fäden mehr übrig waren. Sie hatte sogar den Tisch und den Hocker verschoben, um ganz sicher zu sein. Dominic würde nichts Besonderes sehen.
Er erfährt nie, dass ich ihn wegen der Seide angelogen habe,
beruhigte sie sich.
Die Wahrheit über Ewan jedoch muss er erfahren. Ich darf sie ihm nicht länger vorenthalten.
Ein heißkalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie den Besen in die übliche Ecke stellte. Ihre Hände schwitzten bei dem Gedanken daran, was sie Dominic heute Abend sagen müsste, aber sie würde es heute tun, sobald sie einen ruhigen Moment hätten. Diesen Entschluss hatte sie am Nachmittag gefasst, als ihre einzige Gesellschaft Nadel und Faden gewesen waren. Ganz gleich, wie schwierig es würde: Dominic verdiente, die Wahrheit zu wissen.
Neben aller Nervosität regten sich Schuldgefühle in ihr. War es fair, ihm alles zu sagen und dann zu verschwinden? Nein. Er würde es ihr übelnehmen. Vielleicht würde er sie deshalb sogar hassen. Giselas Augen brannten. Allein der Gedanke, ihn so furchtbar zu verletzen, brach ihr fast das Herz.
Du weißt, dass du keine andere Wahl hast, Gisela – nicht, wenn du Dominic vor Ryles Bösartigkeit schützen willst!
Wieder erschien das Bild von Ryles verzerrtem Gesicht vor ihrem geistigen Auge. Sie versuchte, es zu verscheuchen, aber sein brutales Brüllen dröhnte ihr durch den Kopf, gefolgt von dem scharfen Schmerz, als sein Dolch ihr tief ins Fleisch schnitt. Erschaudernd drückte sie eine Hand auf ihre Brustnarbe und bemühte sich, die Erinnerungen zu vertreiben. Sie kämpfte mit aller Kraft gegen die Bilder an, genau wie sie an jenem Abend hätte kämpfen müssen. Doch sie war zu schwach gewesen.
Schwer atmend streckte sie die Hand nach ihrem Arbeitstisch aus, umklammerte die dicke Platte mit den Fingern, bis die Erinnerungen endlich schwanden und ihr Zittern nachließ.
Dann zwang sie sich, das Kinn zu recken und ihre Furcht zu ignorieren. Die Freiheit war zu nahe, als dass sie sich von Erinnerungen an Ryle einschüchtern lassen durfte. Bald würde Dominic kommen, und sie musste sich für das wappnen, was sie ihm zu erzählen hatte. Vor allem aber sollte sie planen, was Ewan und sie auf ihre Flucht mitnahmen.
Sie ging ins hintere Zimmer, ihren Wohnbereich, und sah auf das Brot, den Käse und die Schale mit Haselnüssen auf dem Tisch. Eine schlichte Mahlzeit, die reichen musste. Dazu wollte sie den letzten Met servieren, den sie
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