Begehrter Feind
um ein zerbrochenes Rad an einem Fuhrwerk kümmern. Als mir einer von ihnen folgte, wollte ich ihm eine Antwort entlocken, doch er sagte nichts. Und eine Weile später war er wieder zur Stelle und beobachtete dieses Geschäft.«
»O Gott!«, hauchte sie.
»Crenardieu würde seine Schläger nicht ohne Grund herbeordern, Gisela.«
Sie wollte etwas sagen, aber in ihrer Verzweiflung war ihr Verstand wie eingefroren. Alle Worte, die ihr zu ihrer Verteidigung einfielen, lösten sich gleich wieder in nichts auf.
Dominic sah sie streng an. »Von dem Moment an, da wir uns wiederbegegneten, spürte ich, dass du mir etwas verheimlichst. Und das ist mehr als bloß, dass du deinem Ehemann entflohen bist.«
Sie zitterte am ganzen Leib.
Dominic trat einen Schritt vor, und sogleich fühlte Gisela sich von seiner puren Willenskraft geradezu überrollt. »Bist du Crenardieu in irgendeiner Weise verpflichtet? Beobachtet er dich deshalb?«
Während sie versuchte, einen Seufzer zu unterdrücken, schüttelte sie den Kopf.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Sein Gesicht wirkte angestrengt, als kosteten ihn die nächsten Worte unendlich viel. »Bist du mit ihm …« Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder und beendete die Frage mit: »Bist du seine … Geliebte?«
»Niemals!«
»Fürchtet er sich deshalb davor, dass ich dir näherkomme – weil ich ihm nehmen könnte, was er als sein Eigen erachtet?«
Sie war drauf und dran, in hysterisches Lachen auszubrechen. Wenn Dominic nur wüsste, wie gut seine Worte zu der verborgenen Seide passten! »Nein, ehrlich, Dominic, ich würde lieber eine Schnecke essen, als das Lager mit Crenardieu teilen!«
Ein mattes Lächeln zeigte sich auf Dominics Zügen. »Schön. Andernfalls wäre ich auch sehr enttäuscht von dir gewesen.«
Gisela erwiderte sein Lächeln, und zugleich wurde ihr wunderbar warm. Wie sehr sie Dominics Humor liebte! Wie sehr sie …
ihn
liebte!
Sag’s ihm jetzt, Gisela! Sag ihm, was er zu wissen verdient, bevor du den Mut verlierst! Bevor Ewan durch die Tür trippelt.
Zittrig holte sie Atem und sagte: »Dominic, was das Geheimnis betrifft, hattest du recht. Es gibt eines, und das habe ich dir viel zu lange vorenthalten. Du sollst die Wahrheit endlich erfahren.«
Kapitel 11
D ominic entfuhr ein Seufzer, der seinesgleichen suchte. So erleichtert war er seit langem nicht mehr gewesen. Endlich vertraute Gisela sich ihm an. Und natürlich war es sehr viel besser, dass sie selbst den Entschluss gefasst hatte, statt dass er sie dazu überreden musste.
Er ließ die Hände zu seinen Seiten sinken und trat einen Schritt näher. »Ich danke dir, Gisela, dass du mir vertraust!«
Ihr Nicken war ein wenig zu ruckartig, so dass ihr das Haar über die Schultern rutschte. Er entsann sich noch, wie ihre seidigen Locken sich angefühlt hatten – ebenso daran, wie sie vor Jahren zu ihm aufgesehen hatte: das Leuchten grenzenloser Liebe und bedingungslosen Vertrauens in ihren Augen.
Die Stille wurde geradezu beklemmend. »Es geht um Crenardieu«, sagte er schließlich leise.
»Ähm … nein.«
Dominic stutzte. »Was meinst du mit ›nein‹?«
Sie senkte den Blick, so dass er ihr nicht mehr in die Augen sehen konnte. »Crenardieu hat nichts mit dem zu tun, was ich …«, erschaudernd rang sie die Hände, »… was ich dir sagen muss.«
Nicht nur glaubte Dominic ihr nicht, sondern ihn bedrückte, dass sie wohl doch nicht ehrlich zu ihm sein wollte. Er war so sicher gewesen, dass sie etwas über die verschwundene Seide wusste und dass Crenardieu hinter dem Diebstahl von Geoffreys Schiffsladung steckte.
Und sein Misstrauen fand er dadurch bestätigt, wie sehr Giselas Hände zitterten. Nun entfuhr ihr überdies noch ein seltsames Kichern. »Jetzt, wo der Moment gekommen ist, weiß ich nicht, wie ich anfangen soll.«
Ihre Stimme bebte so sehr, dass Dominic beinahe schon Mitleid mit ihr bekam. Sie wütend anzustarren dürfte sie jedenfalls kaum ermutigen, ihm zu erzählen, was sie wusste. Vielmehr sollte er ihr mit freundlichen Worten und Gesten Mut machen und ihr erklären, dass er sie nicht verurteilen würde. »Warum fängst du nicht damit an, woher du dein Wissen hast?«
Sie blinzelte, und Tränen glänzten in ihren Wimpern. »Woher ich es habe«, wiederholte sie und lachte wieder auf. »Ach Gott!«
Ihr merkwürdiges Verhalten zerrte an seinen Nerven.
Geduld, Dominic!
Er stemmte seine Hände in die Hüften, denn nur so konnte er sich davon abhalten, sie ihr auf
Weitere Kostenlose Bücher