Beginenfeuer
gewesen. Die Aussicht, der mächtige und geachtete Abt eines Dominikanerklosters im Westen des Königreiches zu werden, hatte Pater Étienne zwar so manche Mühsal ertragen lassen, aber seine ständigen Klagen begleiteten sie dennoch. »Es ist mir ein Rätsel, warum wir nicht zu Pferd unterwegs sein können oder wenigstens mit einem Maulesel«, murrte er auch jetzt vor sich hin.
»Es ist ein Zeichen unserer Demut vor dem Herrn«, erwiderte der älteste Zisterziensermönch, der sich nur selten zu einer Antwort an den Dominikaner hinreißen ließ.
Simon sah, dass sich Pater Étiennes Gesicht verzog. Ein klein wenig Schadenfreude überkam ihn. Die Träume des Paters von einer Abtei wie jener in Toulouse oder gar in Avignon schienen sich allmählich zu verflüchtigen. Je weiter sie in die Landschaft des Marais mit ihren sumpfigen Flächen und schwankenden Knüppeldämmen vordrangen, umso besorgter wurde sein Blick.
»Ich bin der Abt eines Klosters am Ende der Welt«, ächzte er. »Ihr seid der Abt der Dominikaner von Maillezais. War es nicht genau das, was Ihr Euch stets gewünscht habt? Ein Kloster zu leiten, die Freiheit, Entscheidungen zu treffen und die Macht Eures Ordens zu stärken?«
Simon hielt dem bohrend hellen Blick des Dominikaners stand. Von seiner Selbstsicherheit und seiner wohlgenährten Gestalt waren im Laufe der Reise nicht mehr viel übrig geblieben. »Hat Euch der Erzdiakon Pellegrue gesagt, wie viele Brüder mein Kloster hat?«
»Der Erzdiakon hat die Angelegenheit allein mit Euch besprochen«, entgegnete Simon. Pater Étienne verstummte wieder.
Simon ahnte, dass er angestrengt darüber nachdachte, was wohl auf ihn zukommen würde. Sein übergroßer Ehrgeiz hatte ihm den Blick für die Wirklichkeit verstellt. Die Idee, dass dieses von ihm ersehnte Amt eine Strafversetzung sein könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen. Pellegrue hatte ihn ans Ende der Welt verbannt. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er in seiner Begeisterung übersehen hatte, sich in Vienne hinlänglich Aufklärung geben zu lassen.
»Es war töricht von mir, keine Einzelheiten zu erfragen«, gestand er verdrießlich ein. »Ich hoffte, sie von Euch zu erfahren.«
»Mein Befehl lautet nur, Euch bis zu den Dominikanern von Maillezais zu begleiten. Dort werden wir uns verabschieden. Meine Brüder und ich, wir beabsichtigen, unsere erste Enklave fern jeder menschlichen Ansiedlung zu errichten. Von Maillezais aus werden wir weiter in die Sümpfe vordringen und uns einen passenden Ort dafür suchen.«
Die nächsten Tage führten ihre Wege über Pfade, die zunehmend sumpfiger wurden. Sie kamen nur mühsam voran, weil sie fast bis zu den Knöcheln im Schlamm versackten. Die Gegend wurde immer öder. Sie begegneten keiner Menschenseele mehr. Nachts hockten sie dicht aneinander gedrängt im Freien. Morgens richteten sie sich nach dem Stand der Sonne, um nicht die Orientierung zu verlieren.
Erst in unmittelbarer Nähe der Stadt zeigten sich vereinzelte Anzeichen menschlichen Lebens. Aufgeschüttete Dämme, gerade Kanäle und sorgsam bearbeitete kleine Felder waren dem Marschland abgerungen worden.
Der abgelegene Ort war mit einer Stadtmauer umgeben, und die Wächter schenkten den fremden Mönchen keine sonderliche Aufmerksamkeit.
Das Kloster erkannten sie an der kleinen Kapelle, um die sich das Haus der Mönche, ein Stall, eine Scheune, ein winterlich kahler Obstgarten und abgeerntete Gemüsebeete gruppierten. Bis auf das Backhaus waren alle Gebäude aus Holz errichtet, und ein hoher Palisadenzaun sicherte die Ungestörtheit der frommen Gemeinschaft. Simon zog am Glockenstrang neben dem Eingangstor und vermied es, Étiennes Blick zu begegnen. Das dünne Gebimmel der kleinen Schelle am anderen Ende des Seils lockte den Bruder Pförtner erst nach geraumer Zeit herbei. Sein weißes Ordenskleid wies ihn zweifelsfrei als Dominikaner aus.
Simon wandte sich an den fassungslosen Pater. »Eure Ernennungsurkunde wird Euch bei Euren Brüdern ausweisen. Wir müssen Abschied voneinander nehmen. Der Himmel segne Eure Arbeit in Maillezais.«
»Abschied? Wartet! Es muss ein Scherz sein. Gegen diese Hütten ist unser bescheidenes Kloster in Strasbourg ein Palast.«
»Aber dort seid Ihr nicht der Abt.«
»Ihr spottet.«
»Nein, Bruder, Ihr täuscht Euch. Der Erzdiakon hat Euch in diese Stadt gesandt, weil er gewiss ist, dass Euer Ehrgeiz ausreicht, dieses bescheidene Kloster zu einer großen Abtei auszubauen. Habt Ihr den Auftrag Seiner Eminenz nicht
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