Beginenfeuer
Bandschmuck aus der Truhe und die feine Schleierhaube mit dem Gebende. Ich muss mich zum Kirchgang rüsten.«
»Zum Kirchgang? In die Kapelle des Palastes?«
»Nein, ich möchte Pellegrue nicht in die Arme laufen. Wenn er mich ansieht, habe ich jedes Mal das Gefühl, er würde mich am liebsten in die Hölle schicken. Nenn mir ein Gotteshaus, in das jedermann gehen kann.«
»Notre Dame de la Vie, die Stadtpfarrkirche von Vienne. Man hat sie der Mutter Maria gewidmet, in heidnischen Zeiten war sie einmal die Cella eines römischen Tempels. Die Bürger von Vienne schätzen sie, weil sie eine der ersten christlichen Kirchen war, aber die Domherren und Bischöfe fürchten wohl noch immer den Ruch des Heidentums.« Eudora betrachtete Vienne bereits als ihre künftige Heimat. Sie hatte sich schon ausführlich in der Stadt umgesehen. »Gut. Wenn du mir beim Ankleiden geholfen hast, läufst du in die Herberge ›Zur Alten Mühle‹ und sagst dem Seigneur von Andrieu, dass ich ihn bitte, mich in dieser Kirche zu treffen. Wenn es ihm möglich ist, noch vor der Sext um zwölf Uhr.«
»Und wenn er mich fragt, weshalb es so eilig ist?«
»Dann habe ich dir den Grund nicht anvertraut.«
»Ob er mir das glaubt?«
»Wenn er seine Zweifel hat, wird er sie für sich behalten. Er ist ein sehr diskreter Mensch.«
Das Kirchenschiff von »Notre Dame de la Vie« lag im Halbdunkel. Violante kam dieser Umstand gelegen. Das ewige Licht verbreitete schwachen, rötlichen Schein über dem Altar, und zwei dicke Opferkerzen flackerten im Luftzug. Lediglich durch die offene Tür und die kaum handbreiten Fensternischen fiel ein wenig zusätzliches Licht. Sie wählte einen weit entfernten Platz im tiefsten Schatten und kniete zum Gebet auf die eiskalten Steinquader.
Sie fürchtete, Mathieu würde mit dem gleichen Entsetzen wie Eudora auf ihre Nachricht reagieren. Nur mühsam bewahrte sie die Ruhe, während sie auf ihn wartete und die Mutter Gottes darum bat, sie die richtigen Worte finden zu lassen.
In der nach Weihrauch duftenden Stille des eigenartigen, rechteckigen Gotteshauses horchte sie gebannt in sich hinein. Konnte sie das neue Leben schon spüren? Besaß sie Kraft genug, für dieses Leben zu sorgen?
Mit einem Male erinnerte sie sich an ihren kleinen Bruder, wie er bleich und leblos im Arm ihrer Mutter gelegen hatte. Aber auch Eudoras tote Kinder und die Geschichten, die ihr bei den Beginen zu Ohren gekommen waren, weckten neue Ängste in ihr.
Nein, sie durfte sich nicht in Panik versetzen lassen! Herr, ich habe keine Wünsche für mich, aber ich bitte dich, behüte dieses Kind, damit ich es im Arm halten und lieben kann. Lass nicht zu, dass ihm Böses geschieht und dass es in Gefahr kommt, betete sie.
In der Stille der Kirche glaubte sie ihren eigenen Herzschlag zu hören und eine Stimme, die ihr sagte, es gibt nur einen wirklich sicheren Platz für dich und dein Kind: Andrieu. Simon würde wünschen, dass sie dort Schutz suchte, damit sein Sohn oder seine Tochter in Andrieu zur Welt kam und dort in Sicherheit aufwuchs. Mathieu wollte ohnehin, dass sie ihn begleitete, wenn er nach Hause ging.
Bisher hatte sie Mathieu uneingeschränkt beschützt, aber mit einem Mal befielen sie Zweifel. Die Gesellschaft verachtete eine Frau, die sich einem Mann hingab, ohne dass die Kirche ihren Bund gesegnet hatte. Bei einer Begine und einem Mönch war es gar schwere Sünde.
B RUDER S IMON
Ein Karrenweg hinter Poitiers, 13. Dezember 1311
Simon nahm die Unbilden des Winters mit stoischer Gelassenheit hin. Regen und Graupelschauer wechselten sich ab. Des Nachts war es inzwischen so kalt, dass die dünnen Decken, in die sie sich in ihren einfachen Quartieren hüllten, ihnen kaum Wärme gaben. Jeden Morgen erhoben sie sich steif gefroren, um ihre Reise fortzusetzen.
Unter einem grauen Himmel bot das flache Land des nördlichen Poitou keinen Schutz gegen den unablässig pfeifenden Wind. Die wenigen Baumgruppen beugten sich bizarr verformt nach Osten, und der Nebel legte gespenstische Schwaden um sie. Die Mönche kämpften sich schweigend durch die karge Landschaft.
Sogar Pater Étienne war ruhiger geworden. Wäre es nach ihm gegangen, sie hätten schon in Clermont den Schutz einer Abtei aufgesucht und den Winter abgewartet.
»Es kann nicht im Sinne des Herrn sein, dass wir auf den Landstraßen ertrinken oder erfrieren«, hatte er den Aufbruch zu verhindern versucht.
»Ihr kennt den Befehl«, war Simons ruhige Antwort
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